Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 5. Februar 2015

Orson Welles – Rüdiger Bertram

Rosebud“, hauchte Frau Müller-Liebelein und beugte sich zu ihrem Assistenten hinüber. Sie standen am Büchereiregal mit den Videokassetten und sortieren die zurückgegebenen Filme ein. „Wussten Sie eigentlich, dass Orson das von mir hatte?“
„Was denn für ein Orson?“, fragte Herr Rafka verständnislos.
„Na, Orson Welles!“, erwiderte die Bibliothekarin und zog missbilligend ihre linke Augenbraue hoch. „Der berühmte Regisseur. Rosebud ist das zentrale Wort in seinem Film Citizen Kane. Kennen Sie den etwa nicht?“
„Meinen Sie nicht, wir sollten uns langsam auch mal ein paar DVDs anschaffen? Videos sind nun wirklich nicht mehr …“
„Sie lenken ab, Herr Rafka!“, unterbrach ihn Frau Müller-Liebelein. „Aber ich sehe schon, Sie haben den Film nicht gesehen. Wir könnten ihn uns heute Abend zusammen anschauen … wenn Sie mögen.“
„Das würde ich wirklich gerne, aber ich kann nicht.“ Herr Rafka hatte sein Smartphone herausgeholt und fuhr mit dem Finger auf der Suche nach Informationen über Orson Welles auf dem Bildschirm herum.
„Warum denn nicht?“ Frau Müller versuchte einen Blick auf das Display zu erhaschen und kam ihrem Assistenten dabei so nahe, dass eine Haarsträhne seine Wange berührte. Erschrocken zuckte Herr Rafka zurück.
„Weil … weil … weil ich hab Männergruppe.“ Herr Rafka wischte weiter über sein Smartphone, ohne seine Chefin anzuschauen.
„Weil ich habe Männergruppe?!“ Frau Müller-Liebelein schüttelte den Kopf. „Bei der Konjunktion weil steht das Verb immer, ich wiederhole, immer am Satzende. Richtig muss es also heißen: Weil ich Männergruppe habe.“
„Sie gehen auch zur Männergruppe?“, erkundigte sich Herr Rafka überrascht. Er hatte seiner Chefin nur mit halbem Ohr zugehört, dafür aber endlich den richtigen Wikipedia-Eintrag gefunden. „Wow! Den Orson Welles meinen Sie! Kannten Sie den etwa persönlich?“
„Das will ich wohl meinen: Damals als Au-pair in Los Angeles.“ Frau Müller-Liebelein zog das Citizen Kane-Video aus dem Regal und betrachtete das Cover. „Ich war damals noch ein junges Mädchen, ein richtiger Backfisch und habe auf seine Kinder aufgepasst. Nun ja, und da kam eines zum anderen und das andere führt zum einen.“
„Wow!“, wiederholte Herr Rafka.
„Können Sie auch noch etwas anderes sagen? Für einen angehenden Bibliothekar scheint mir Ihr Wortschatz etwas beschränkt, Herr Rafka.“
„Ich meine, das ist sensationell. Ich wusste ja gar nicht, dass Sie mal in Hollywood waren.“
„Sie wissen so vieles nicht von mir.“ Frau Müller-Liebelein stellte das Video mit einem tiefen Seufzer zurück ins Regal. „Wir haben stundenlang zwischen Rosen gebadet.“
„Zwischen Rosen gebadet?“ Herr Rafka schluckte.
„Orson hat Millionen und Abermillionen Blütenblätter in seinen Pool schütten lassen. Er nannte es unser Rosebud, weil er als Amerikaner Probleme mit der Aussprache von Rosenbad hatte. Der Rest ist Filmgeschichte.“ Frau Müller-Liebelein seufzte erneut, dann blickte sie traurig Herrn Rafka an. „Könnten Sie das bitte zu Ende aufräumen? Ich muss mich kurz … die Erinnerung überwältigt mich … Sie verstehen?!“
Die Bibliothekarin drückte ihrem Assistenten einen Stapel mit Videos in die Hand, dann drehte sie sich schnell um und verschwand in ihrem Büro. Herr Rafka stellte die Kassetten auf dem Regal ab und widmete sich wieder dem Wikipedia-Eintrag. Orson Welles hatte gar keine Kinder und außerdem war Citizen Kane aus dem Jahr 1941. Letztes Jahr hatten sie in der Bücherei zum wiederholten Mal Frau Müller-Liebeleins 39. Geburtstag gefeiert. Das haute alles vorne und hinten nicht hin, überlegte er. Sie hatte ihm ein Märchen erzählt. Um ihn eifersüchtig zu machen. Oder weil sie keine Lust hatte, die Videobänder zurück ins Regal zu räumen. Oder weil es ihr einfach Spaß machte.
Herr Rafka lächelte. Seine Badewanne war so winzig, da brauchte er keine Millionen Blütenblätter. Es musste ja auch keine Rosen sein, Tulpen taten es auch. Die waren nicht so teuer und ein paar Dutzend davon würden locker reichen. Dafür lohnte es sich schon mal, den Männerabend ausfallen zu lassen.
„Rosebud“, murmelte er, dann zog er das Video aus dem Regal und folgte seiner Chefin in ihr Büro.

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