Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 27. März 2014

Vegetarier – Kai Lüftner


Komm, dein Essen wird welk! oder Los jetzt, Wiese knabbern, du Ochse! waren schon in den Wendejahren gängige berlinerische Fleischfresser-Floskeln, um die damals noch deutlich als Randgruppe wahrgenommene Spezies der Vegetarier zu degradieren.
Es waren harte Zeiten für einen wie mich. Dünn, grünhaarig, fleischlos. Inmitten einer Stimmung bröckelnder Fassaden. Gesellschaftlichen und architektonischen. Um einen herum politisches Niemandsland, Unsicherheit und Angst. Kein Platz für so was Banales und Seltsames. Das Leben war seltsam genug.

Soviel zum Vorspiel, nun zum Szenario: Punk-Konzert der Abstürzenden Brieftauben in einem der damals noch üppig vorhandenen besetzten Häusern im Friedrichshain. Mein Hirn will mir in einer vernebelten Erinnerung das K9 in der Kinzigstraße vorgaukeln, aber ich glaube, da bringt es was durcheinander. Im K9 war regelmäßig sogenanntes Stiefel-Saufen, da gab es keine Erinnerungen. Nichtmal vernebelte.

Jedenfalls waren wir, meine zwei Homies E und A und ich, auf dem Weg zur Bahn. Als Köpenicker ohne Führerschein, aber mit dem Bedürfnis nach Subkultur war der Gesindel-Container damals nicht wegzudenken. Der Rand Berlins gehörte Anfang der 90er noch nicht wirklich dazu. Tut er heute eigentlich auch nicht, aber heute ist das so gewollt.

Uns gegenseitig stützend, der eine das Bier des anderen haltend oder auffangend, die Pogo-Wunden notdürftig verarztet, kamen wir am Bahnhof an. Nur kurz war da so was wie Erleichterung, die erste Etappe auf dem Weg nach Hause unbeschadet überstanden zu haben, denn plötzlich wurde ich eines Rudels Glatzen gewahr.

Es ist wichtig, zwischen Glatzen und Glatzen zu unterscheiden. Es gibt die guten Skins (und zwar nicht wenige!) - erkennbar an einem stylischen, sehr genrebewussten Äußeren. Meistens Perry-Polos oder -Hemden, blitzblanke Boots, enge Jeans, Dunkee-Jackett, etc. - Der klassische Skinhead war noch nie Nazi, auch wenn Teile der Öffentlichkeit das bis heute nicht verstanden haben. - Und es gab (und gibt) - natürlich - auch die Hohlbratzen, Boneheads, Faschos, Nazi-Skins. Auch recht leicht erkennbar an einer äffischen Physis, extrem dämlichen Gesichtern und einer Stimmen-Aussprache-Konstellation, die irgendwo im Neandertal anzusiedeln ist.

Moin, ihr Zecken!, sagte der Hässlichste von allen dann auch sofort im besten Neandertalisch, noch bevor ich E und A auf die Gefahr hinweisen konnte.
Affen-Glatze schaute auf uns herunter und wischte sich über den Mund, als wenn wir das Leckerste wären, das ihm seit seiner Entlassung vor die Baseballkeule gekommen war. Innerhalb von zehn Sekunden waren wir vom Rest-Affen-Rudel umstellt. Das würde Aua! werden, soviel war klar.

E, kategorisch der mit der höchsten Promille-Kurve und der langsamsten Verzahnung, aber auch einer der Verlässlichsten in etlichen hoffnungslosen Szenarien, brummte ein Moin! zurück und schaute dem Ober-Affen neugierig ins vom Sternburg verquollene Antlitz. Als der sein zahnloses Maul zu einem vermutlich verheißungsvoll-bedrohlichen Grinsen öffnen wollte, legte E nach: Watten los, Leute?

Ober-Affe konnte sich vermutlich gerade so davon abhalten, auf der Brust rum zu trommeln, und auch einige andere im Rudel begannen, in freudiger Erwartung zu geifern und sich an ihrem Sabber zu verschlucken.
Mir wurde schlecht - und noch schlechter, als A mich plötzlich anstupste. Na los, K, sags ihnen!
Hä?, machte ich und war froh, dass da Stimme war und nicht nur ein zittriges Fiepen.
Auch E fiel ein, wobei ich mir bis heute absolut sicher bin, dass er keinen Plan von A´s Plan hatte. Aber die beiden waren Brüder. Da war es leicht sich immer mal wieder als drittes Rad am Wagen zu fühlen.
Watt wollt ihr denn?, blökte ich sie nun an und wurde beinahe wieder nüchtern.
Einige Affen-Glatzen kratzten sich ratlos die Köpfe, einer kotzte, ein dritter pinkelte sich ein während er stramm stand. Nur Ober-Affe schaffte es tatsächlich noch gefährlicher zu schauen.

A, ein für unsere Kreise sehr zurückhaltender, fast intellektueller Geist mit unglaublichem Wissen, aber eben auch einem ausgefallenen Musikgeschmack, machte ein Gesicht wie mein früherer Mathelehrer Herr Wilke, wenn er uns Kinder rügte. Dann hob er auch noch den (pädagogischen) Zeigefinger und zeigte mit ihm auf mich. Ihr solltet uns mal besser durchlassen. Der Typ hier is nämlich Vegetarier!

Nur die einfahrende Bahn zerstörte die filmreife Stille, die entstanden war. Keiner im Affenrudel wusste, wie er schauen sollte. Manche zeigten Anzeichen von Angst, andere von Verwirrung. Sie sahen in dem Fall aber nicht intelligenter aus als E und ich.
Watt is der?, fragte Ober-Affe und machte einen halben Schritt nach hinten.

A war ganz in seinem Element. VegetARIER!, sagte er mit einer Betonung, die einfach keine Interpretation offen ließ.
Krass!, entfuhr es dem Affenrudel-Führer und er machte noch einen Schritt nach hinten.

Dadurch entstand ein kleiner schmaler Gang, durch den A nun E und mich lotste und dabei wissend nickte. Wir schafften es - unglaublich, aber wahr - gerade so in die S-Bahn und
E ließ es sich nicht nehmen, der Affen-Horde den Stinkefinger zu zeigen. Zum Glück schlossen sich genau in dem Moment die Türen.

Wir sahen noch, wie der Ober-Affe einen seiner Gefolgs-Affen ohrfeigte. Vermutlich weil er gefragt hatte, was ein VegetARIER war.

Nachwort: Resümierend möchte ich also festhalten, dass fleischlose Ernährung in der Tat gesund ist. Und das wird mir auch niemand ausreden können.

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