Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 3. April 2014

Zalando (Taschen) – Rüdiger Bertram


Der Paketbote hatte geklingelt und Mama vor lauter Freude laut gekreischt. Da wusste ich gleich, dass sie die nächsten Stunden im Schlafzimmer vor dem Spiegel verbringen würde. Es war ein ziemlich großes Paket gewesen. 
Mir war das egal. Ich schnappte mir meine Strickjacke und ging in den Park. Dort wollte ich mich auf meine Lieblingsbank setzen und den anderen Kindern beim Fußballspielen zugucken. Ich bin mehr so der Gucker und da braucht mir jetzt gar keiner eine Portion Mitleid rüber zu schieben, von wegen „Der arme Junge sitzt immer nur an der Seite und hat gar keine Freunde“ oder was die Leute sich sonst immer für einen Blödsinn denken, wenn ein Junge ganz allein neben einem Bolzplatz hockt. Dass Am-Rand-Sitzen wird total unterbewertet. 
Mir gefällt das.
Was mir gar nicht gefällt ist, wenn meine Bank neben dem Bolzplatz besetzt ist. Da saß nämlich schon eine alte Frau, die hatte eine große braune Reisetasche neben sich abgestellt. Ich zögerte einen Moment, weil ich die Bank gerne für mich alleine habe, hockte mich dann aber trotzdem neben sie. Wir schauten uns schweigend das Spiel an und ich hatte schon fast vergessen, dass sie neben mir saß, als sie plötzlich ein Messer aus ihrer Tasche zog.
„TASCHEN-MESSER“, sagte sie und deutete abwechselnd auf das Messer und ihre Reisetasche.
Ich schaute sie verdutzt an, weil ich nicht verstand, was sie von mir wollte, hatte aber seltsamerweise gar keine Angst, obwohl das Messer wirklich scharf aussah. 
„TASCHEN-BUCH“, sagte sie, als sie kurz darauf so einen richtig schweren Schmöker aus ihrer Tasche holte. Als nächstes kramte sie ein paar Münzen („TASCHEN-GELD“), ein gestreiftes Handtuch („TASCHEN-TUCH“) und eine Packung Zigaretten („TASCHEN-KREBS“) hervor. Bei den Zigaretten brauchte ich erst eine Weile, bevor ich es kapierte.
Dann zog sie ein Blatt mit Musiknoten hervor, legte es zwischen uns auf die Bank und sagte: „BANK-NOTEN.“ Dabei lächelte sie mir freundlich zu, so als wollte sie, dass ich mich an ihrem seltsamen Spiel beteiligte. Als ich nicht sofort reagierte, räumte sie alle Sachen auf den Weg und deutete mit ihrem Finger auf die leere Bank. „BANK-LEHRE“. Auch da brauchte ich wieder ein paar Sekunden.
Die alte Dame war verrückt, aber harmlos. Eigentlich fand ich sie sogar ganz nett. Deswegen nahm ich das kleine silberne Kreuz ab, das mir Opa zur Kommunion geschenkt hatte, legte es vor uns auf den Weg und sagte: „KREUZ-WEG!“
Die Alte streckte mir anerkennend ihren Daumen entgegen und kramte aus ihrer Tasche eine Gabel, die sie neben mein Kreuz legte: „WEG-GABEL!“
Weil mir zu Bank und Weg nichts mehr einfiel, lief ich quer über die Wiese auf einem Baum zu und zog dabei einen Wollfaden aus meiner Strickjacke. Den Faden hängte ich über einen Zweig und verkündete feierlich: „BAUM-WOLLE!“
Die Frau griff erneut in ihre Reisetasche und zauberte daraus ein Stück Bienenstich hervor. Für einen kurzen Moment dachte ich, sie wollte mich dazu einladen, aber dann schmiss sie den Bienenstich gegen den Stamm und rief: „BAUM-KUCHEN!“
Ich überlegte kurz, dann zog ich mir die Hose aus – das ging, weil ich meine karierten Shorts darunter trug und es für den April ziemlich warm war. „WINDHOSE!“, brüllte ich so laut ich konnte, während ich meine Hose wild in der Luft hin und her schwenkte.
Die Alte lachte und stülpte ihre Tasche um. Aber es fiel nichts mehr heraus, weil sie anscheinend leer war. Achselzuckend sah sie mich an, dann rannte sie zurück zu unserer Bank. Sie kletterte auf die Sitzfläche, schaute von oben auf die sie herunter und rief: „BANK-AUF-SICHT!“
Jetzt war ich es, der ihr meinen Daumen anerkennend entgegenstreckte. Dabei fiel mein Blick auf meine Armbanduhr. Es war höchste Zeit nach Hause zu gehen. Ich stellte mich ganz still vor sie, fast so als wäre ich versteinert, deutete auf meine Armbanduhr und sagte: „STAND-UHR!“
Dann winkte ich ihr zu, in dem ich meine Hose noch ein paar Mal über meinem Kopf herumwirbelte, und lief in meinen Shorts schnell nach Hause.
Als ich dort ankam, stand meine Mutter immer noch vor dem Spiegel und auf dem Bett hinter ihr türmte sich ein riesiger Berg mit neuen Klamotten. Ich zeigte erst auf meine Augen, dann auf das Fenster und schließlich auf sie. 
„SCHAU-FENSTER-PUPPE!“, sagte ich, aber ich bezweifele, dass sie das verstanden hat. Sie kreischte nämlich im selben Moment wieder laut los, weil sie sich mit ihrem neuen Rock so unfassbar schick fand.

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