Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 17. Juli 2014

James Dean – Antje Herden


„Bist du da?“, flüsterte ich. Beinahe versagte mir die Stimme. Meine Füße kribbelten wie verrückt. Und das lag nicht an den viel zu großen kratzigen Wollsocken, die ich trug.
„Wir rufen dich an! Bitte beantworte unsere Fragen“, raunte M., meine Freundin, 13jährig und damit so alt wie ich. Sie versuchte sich an einer sehr tiefen Stimme. „Bist du unter uns?“, dröhnte sie.
Ich musste kichern.
„Wenn du lachst, kommt er nicht“, zischte sie mich an.
Schnell biss ich mir auf die Lippen. Unsere Zeigefinger berührten ganz sacht das kleine Steinplättchen in der Mitte des Bilderrahmens.
Plötzlich begann es auf dem Glas wegzurutschen, steuerte ganz eindeutig das „J“ des im Kreis angeordneten Alphabets an. Das konnte nicht sein! Nicht eine Minute hatte ich an all das wirklich geglaubt. Vom „J“ rutschte das Plättchen weiter Richtung „A“. Bevor es dort jedoch ankam, nahm ich meinen Finger weg.
„Das bist du, gib es zu!“, sagte ich viel lauter als gedacht. „Du schiebst es.“
„Gar nicht wahr. Ich berühre es doch kaum“, verteidigte sich M.
Die Flammen der drei Kerzen flackerten unheilvoll.
„Natürlich, bist du das! Ich kann es doch genau sehen“, sagte ich noch etwas lauter und ärgerte mich darüber, dass meine Stimme zitterte.
„Du spinnst! Ich habe es fast gar nicht berührt!“, schimpfte sie. „Wenn du dich nicht konzentrierst, klappt es sowieso nicht.“
„So ein blöder Quatsch kann ja auch gar nicht funktionieren“, schnappte ich.
Die Kerzen flackerten stärker. Eine erlosch. In dem Moment wurde die Zimmertür aufgerissen und wir erstarrten vor Schreck.
In der Tür stand M.s Mutter im Nachthemd und mit wirrem Haar. Schuldbewusst blickten wir zu ihr auf. Es war mitten in der Nacht und wir hatten schon vor Stunden versprochen, endlich einzuschlafen. Ihr Blick fiel auf die Glasscheibe, auf der wir alles für die Geisterbeschwörung angerichtet hatten. Ich hörte M. pfeifend Luft holen. Jetzt waren wir dran.
„Wir nehmen heimlich ein Kunstwerk meiner Mutter, das merkt die nie“, hatte M. nämlich vorhin bestimmt und dann hatten wir leise, ganz leise, den Rahmen von der Wand genommen. Wie sollten wir nun der aufgebrachten Künstlerin mit den sich wild sträubenden Haaren erklären, dass wir acht-, ja, schamlos, den Rahmen, der eigentlich ihr Werk schützen sollte, missbraucht hatten? Nur weil der so schön rutschig war.
Energisch strich sich M.s Mutter das Haar hinter die Ohren. „Was macht ihr da?“, fragte sie streng.
„Wir rufen einen Geist“, flüsterte M. und schaute schuldbewusst zu Boden.
„Aha“, machte ihre Mutter. „Welchen?“
„James Dean“, murmelte ich heiser und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
„Aha“, machte die Künstlerin wieder.
Dann setzte sie sich zu uns auf den Teppich. „Das wird sicher interessant. Meine Bilder haben eine unglaubliche Energie, der sich keiner widersetzen kann. Und an diesen Mann habe ich auch noch eine Frage. Seid ihr bereit, Mädels?“
Ungläubig sah ich ihr dabei zu, wie sie die Kerze wieder anzündete und dann ihren Zeigefinger an das Plättchen legte.
Ich blickte auf meinen großen Fußzeh, der sich einen Weg in die Freiheit durch den verfilzten Strumpf gesucht hatte. Plötzlich wurde mir schlecht. Ich riss das Steinplättchen vom Glas und feuerte es in die hinterste Zimmerecke. Schwer atmend schaute ich auf die beiden, wie sie so vor mir kauerten in ihren alten Nachthemden und mit weit aufgerissenen Augen.
„Das geht nicht!“, rief ich panisch. „Versteht ihr? Das können wir nicht machen! James Dean! Und guckt doch mal, wie wir aussehen!“

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