Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 27. November 2014

Dali – Antje Herden

„Frau Winkler hat gewonnen“, erzähle ich beim Mittagessen.
„Was denn, Schatz?“, fragt Mama.
„Na, dieser Maler wird das Portrait von ihr machen.“
„Ach, stimmt ja, dieser alberne Wettstreit“, sagt Mama und schmunzelt.
„Wieso albern?“, frage ich.

Das Ganze war wochenlang Thema in unserer Stadt gewesen. Es gibt da nämlich diesen Maler bei uns. Der behauptet, der Sohn von einem anderen, aber berühmten, Maler zu sein.
„So ein Unsinn“, hatte Paps gebrummelt, als er uns das aus der Zeitung vorlas. „Dali hatte garantiert nie etwas mit Frau Semmelrock aus der Schmittstraße.“
„Frau Semmelrock sagt, sie war mal sehr schön. Also vor hundert Jahren, als sie noch jung war“, verteidigte ich sie, obwohl ich das selbst nicht glaubte.
„Dali liebte nur eine einzige Frau, seine Gala“, sagte Paps.
„So wie du Mama, stimmts?“
„Stimmt, mein Sohn.“
„Aber Dali hatte in den 60er Jahren ein Verhältnis mit Amanda Lear“, warf Mama ein, nachdem sie sich kurz die Augen abtupfen musste.
„Na, siehste“, sagte Paps.
Ich verstand das nicht so richtig, denn Amanda war ja wohl auch ein Frauenname. Aber es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als man so denkt. Das weiß ich von Opa und der weiß es von seinem guten Freund Hamlet. Der ist aber schon lange tot. Also Opa nicht. Der wohnt in der Schmittstraße neben Frau Semmelrock.

Jedenfalls behauptete der Sohn von Frau Semmelrock, er sei auch der Sohn von dem berühmten Maler Dali, und auch, dass er malen könne wie er, weil das in den Genen liegen würde. Noch nie hat irgendjemand seine Gemälde gesehen. Er würde aber an einem superwichtigen Zyklus arbeiten. Das hörte sich zumindest enorm an. Irgendwann glaubten ihm die Zeitungen und danach die Leute der Stadt trotzdem. Paps sagte, gerade deshalb. Keiner will ja nicht dabeigewesen sein, wenn es was gegeben hätte. Nun soll sogar unsere Grundschule umbenannt werden. Nicht in Friedrich Semmelrock Schule aber in Salvador Dali Schule. Da müssen sie auch nur die halben Buchstaben austauschen, denn im Moment heißt sie noch Salvador Allende Schule.

Und es gab diesen Wettstreit. Der Maler, also der aus unserer Stadt, der eigentlich Friedrich Semmelrock heißt, der sich aber Semi nennt, will einen Lehrer unserer Schule portraitieren. Das Bild soll dann mit einem Riesentamtam in der Aula aufgehängt werden. Es gibt an meiner Schule nur Lehrerinnen und alle wollten gemalt werden und deshalb waren sie seit Wochen ganz aufgeregt. Nun hat also Frau Winkler gewonnen. Semi will sie im selben Stil portraitieren wie Dali 1965 die berühmte Schauspielerin Raquel Welch.

„Frau Winkler ist jedenfalls superstolz. Sie trägt seit neuestem lange Kleider und hat nun Locken auf dem Kopf“, erzähle ich.
Mama lacht. „Vielleicht sollte sich Frau Winkler im Internet mal das Bild anschauen, das Dali von Miss Welch malte.“
Eigentlich will ich das nach dem Mittagessen machen, aber dann klingelt Leon und wir müssen los.

Am großen Tag ist die Aula rappelvoll. Wir Schüler haben keinen Platz mehr und drücken uns ganz hinten an der Wand herum. Vorne sitzt der Bürgermeister und seine Entourage, wie Mama sagt. Das sind seine Mitarbeiter. Dahinter sitzen alle anderen. Frau Winkler sitzt auch ganz vorne, allerdings auf der Bühne. Ihr Kleid ist noch länger, ihre Haare noch lockiger und irgendwas hat sie mit ihren Augen gemacht. Sie lächelt. So habe ich sie noch nie gesehen.
Zuerst halten der Bürgermeister, dann noch einer im grauen Anzug und schließlich die Schuldirektorin jeder eine total langweilige Rede. Ich habe Angst, dass ich einschlafe. Aber dann rangeln wir uns alle ein bisschen. Frau Winkler ist ja beschäftigt.
Am Ende kommt der Maler auf die Bühne. Eigentlich hat er blonde Locken und keinen Bart. Das weiß ich, weil Opa ja neben Frau Semmelrock wohnt und der Maler bei seiner Mutter. Heute sieht er ganz anders aus. Er hat die Locken mit Gel fest auf den Kopf gedrückt und sich einen Schnauzbart angeklebt. Vielleicht verkleidet er sich ja gerne. 
Jedenfalls geht ein Raunen durch die Menge. Das Malen ist ratzfatz vorbei. Zum Glück. Ich glaube, niemand hat mehr Lust, noch länger auf unseren kleinen Stühlen zu sitzen.
Als das Bild zu den Leuten umgedreht wird, bricht Frau Winkler in lautes Schluchzen aus. Dann klatschen alle ganz schnell und wie verrückt. Das ist so laut, dass man gar nicht hören kann, dass die meisten lachen müssen. Frau Winkler rennt jedenfalls weg, so schnell wie sie das in ihren hohen Schuhen machen kann.

Als ich zum Klo gehe, sehe ich sie in einer dunklen Ecke im Flur. Sie weint immer noch. Ich weiß gar nicht wieso, aber ich gehe zu ihr hin und wünsche ihr gute Besserung. Da klammert sie sich an mich und schnieft an meiner Schulter weiter. Ich habe ein bisschen Sorge wegen dem vielen Nasenrotz, den ich hören kann. Hoffentlich klebt der nachher nicht auf meinem Pulli und in meinen Haaren. Erstaunt bin ich – ehrlich gesagt – auch ziemlich. Frau Winkler mag mich nämlich gar nicht und nun umarmt sie mich als wäre ich ihr letzter Halt im stürmischen Ozean. 
Aber vielleicht ist das ja eine Wende. Das kann ich morgen direkt mal überprüfen. Morgen schreiben wir Mathe.


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