Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Gedanken über Erdbeerjoghurt und den Weihnachtsmann und was das eine mit dem anderen zu tun hat – Rüdiger Bertram

Weihnachten naht und auch wir reagieren. Darum gibt es vor der Winterpause, unabhängig vom laufenden Zettel, drei Weihnachtsgeschichten von uns. Wie immer beginnt Rüdiger.



»Hallo, Freddie«, sagte Frau Nöll, als sie ihn erreicht hatte. »Ich hab gehört was der Riese heute gemacht hat. Mach dir nichts draus. Riese ist ein Vollidiot.«
Freddie starrte seine alte Lehrerin an, als hätte sie behauptet, Riese sei ein Außerirdischer. Nie hätte er gedacht, dass ein Lehrer einen anderen Lehrer Vollidiot nennen würde.
»Guck mich nicht so überrascht an, das weißt du doch selbst. Und wenn du noch an den Weihnachtsmann glaubst, ist das völlig in Ordnung. Hör nicht auf die anderen.«
»Aber ich glaub doch gar nicht ...«
»Ob oder ob nicht, das ist ganz allein deine Sache. Weißt du, viele Jahre lang habe ich geglaubt, dass das Erdbeeraroma im Joghurt tatsächlich aus Erdbeeren gemacht wird.«
»Wird es das denn nicht?«
»Nein, sie machen das Aroma aus Sägespänen. Frag mich nicht, wie, aber sie kriegen es irgendwie hin. Für alle Joghurts dieser Welt würden die echten Erdbeeren gar nicht ausreichen.«
Freddie hatte keine Ahnung, worauf die alte Nöll hinauswollte.
»Früher, als ich das noch nicht wusste, hat mir der Joghurt besser geschmeckt. Und weißt du was? Mit dem Weihnachtsmann ist es genau das Gleiche. Schöne Weihnachten wünsch ich dir, Freddie.«
Frau Nöll strich ihm über den Kopf und ging durch das Tor zum Fahrradständer, wo sie ihr Rennrad abgeschlossen hatte. Sie schwang sich auf den Sattel und radelte davon. Freddie sah ihr lange nach, ehe er sich auf den Weg zum Bus machte.

[…]

Freddie klingelte. Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür öffnete, und seine alte Lehrerin vor ihm stand. Sie trug rote Pantoffeln, einen gelben, wattierten Morgenmantel und sah schrecklich verschlafen aus. In ihrem zerknautschten Gesicht hatte ihr Kissen deutliche Spuren hinterlassen, und sie sah nicht so aus, als ob sie sich über den überraschenden Besuch freuen würde.
»Du?! Weißt du, wie spät es ist, Freddie? Es sind Ferien, und es ist mitten in der Nacht!«, sagte sie und gähnte.
»Es ist halb zehn«, antwortete Freddie.
»Ich sag ja, mitten in der Nacht. Was willst du?«
»Glauben Sie, dass es auch noch echten Erdbeerjoghurt gibt?«
»Wie bitte?«
»Welchen aus echten Erdbeeren. Sie haben selbst gesagt, dass er besser schmeckt, wenn man glaubt, es sind echte drin. Es ist wichtig.«
»Meinetwegen, wenn es so wichtig ist, glaube ich an echte Erdbeeren im Joghurt. Kann ich jetzt weiterschlafen?«
»Dann glauben sie auch an den Weihnachtsmann, nicht wahr?«
»Was hat das denn miteinander zu tun?«
»Na, weil Joghurt mit echten Früchten einfach besser ist und Weihnachten eben auch, wenn man noch an den Weihnachtsmann glaubt.«
»Was soll das, Freddie?«
»Ja oder nein?«, drängte Freddie, der auf der Stelle lief, damit seine Füße nicht zu lange den eisigen Boden berühren mussten. Ausgerechnet jetzt ließ sich Frau Nöll unendlich viel Zeit für ihre Antwort.
»Ich sag mal so: Wenn es ihn nicht gibt, ist es völlig egal, ob ich an ihn glaube oder nicht. Macht keinen Unterschied. Aber wenn es ihn doch gibt, ist es besser, man glaubt an ihn. Spricht im Zweifel also alles dafür, an ihn zu glauben. Kann man nur gewinnen. Also ja, Freddie, ich glaube an den Weihnachtsmann«, antwortete sie endlich nach einer halben Ewigkeit. »Und jetzt lass mich wieder zurück in mein Bett. Wir können gerne nach Weihnachten weiterreden.«
»Dann ist es zu spät. Kommen Sie schon.«
Freddie nahm Frau Nöll an der Hand und zog sie in ihrem Morgenmantel und ihren Hausschuhen hinter sich her.
»Was hast du vor?«
»Das erklär ich Ihnen im Bus. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«

AUS: Fünf Wunder für den Weihnachtsmann, Ravensburger Buchverlag 2014

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