Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 13. November 2014

Gastbeitrag für Notes of Berlin Filmblog – Rüdiger Bertram

Heute mal etwas ganz anderes.
In Berlin gibt es die wunderbare Seite Notes of Berlin, die in der Hauptstadt auf Zettelsuche geht.
Grund für Herrn Bertram im Rahmen eines Joint Ventures - ausnahmsweise - eine Story von einem Berliner Gastzettel zu betexten. "Hallo Rawa, melde dich, du wirst Vater", lautet dieser.
(Hier findet Ihr auch noch alle Infos zu einem geplanten Film dazu.)


Rawas entdeckte den Zettel erst auf dem Rückweg. Er blieb vor dem Laternenpfahl stehen und fragte sich, warum er ihn auf dem Hinweg übersehen hatte. Vielleicht, dachte Rawas, hatte der Zettel vorher noch gar nicht dort gehangen. Aber das war Unsinn, das wusste er selber. Er war nur ganz kurz zum Bäcker rein, dort sofort drangekommen und hatte den Laden danach mit seinen zwei Schrippen auch gleich wieder verlassen. Wahrscheinlich, überlegte Rawas, hatte er den Zettel einfach nur übersehen, weil er auf sein neues Smartphone gestarrt hatte oder weil er einfach noch zu müde war an diesem verregneten Sonntagmorgen um halb acht oder weil … egal, der Zettel hing dort und das nur für ihn. Das war mal klar.

„Hallo Rawas, melde dich. Du wirst Vater.“

Rawas las den Text ein zweites Mal, diesmal halblaut um ganz sicher zu sein, dass er die Nachricht richtig verstanden hatte. Vater! Er! Aber wer war die Mutter und warum hatte sie ihn nicht einfach angerufen? Das wäre doch das einfachste gewesen. Einfach anrufen und Bescheid sagen, was Sache ist, anstatt das ganze Viertel mit diesen Zetteln voll zu kleben. Das war ja schließlich eine private Sache zwischen ihm und … und … wem auch immer.

Erst jetzt fiel ihm ein, dass wer-auch-immer ihn gar nicht erreichen konnte, weil er seit letzter Woche nicht nur ein neues Telefon, sondern auch eine neue Nummer besaß. Und umgezogen war er auch. Rawas hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, um ein neues Leben zu beginnen. Eines ohne durchgemachte Nächte und verkaterte Tage. Kaum einer seiner alten Freunde wusste, wo er zu finden war. Und den wenigen, die es wussten, hatte er strikt verboten, es irgendwem zu verraten. Wer-auch-immer hatte gar keine Chance gehabt, ihn anders als durch einen solchen Zettel zu erreichen.

Aber wer war sie? Nicola, die schüchterne Kleine aus dem Supermarkt? Auf gar keinen Fall, die hätte sich nie getraut, in der Öffentlichkeit eine Nachricht aufzuhängen. Monique, die Sprachstudentin aus Paris? Nein, dann hätte der Zettel mehr Schreibfehler gehabt. Michaela, die in seiner alten Lieblingsbar jobbte? Unmöglich, die war viel zu stolz für so eine Aktion. Mandy? Auch eher unwahrscheinlich. Cecilia? Ganz sicher nicht. Karoline? Ella? Merve? Melanie? Eva? Zoe? Katharina? Antje? Wibke? Kati? Ida? Sandra? Stefanie? Ines? Luise? Dagmar? Alice? Tina? Özlem? Sabine? Katja? Tatjana? Franziska? Angela? Kerstin? Bettina? Tanja? Juliane? Christina? Felicitas? Maria? Ami? Sonja? Amelia? Mia? Calida? Beatrice? Naomi? Estrella? Sevelin? Chloe? Petra? Antonia? Cecilia? Jennifer? Penny?

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm der Gedanke. Er hatte zwar immer noch keine Ahnung, wer die Mutter war und es passte grad auch überhaupt nicht, aber wann passte es schon und die Mutter würde er schon finden, da war Rawas ganz sicher. Warum hatte sie unten an dem Zettel nicht so praktische Strippen zum Abreißen mit ihrer Telefonnummer angebracht? Das machten andere Zettelkleber doch auch und dann wäre jetzt alles viel einfacher. Rawas spürte, wie er ganz tief in sich drinnen immer weicher wurde. Er bekam einen Sohn! Oder eine Tochter, das war auch okay. Vielleicht sogar besser.

„Hey, Rawas! Was lieste denn da?“

Rawas drehte sich um. Vor ihm stand Theo, ein Freund aus Zeiten, in der er noch nicht die schwere Verantwortung einer kleinen Familie getragen hatte.

„Heulst du etwa?“

„Ich werde Vater.“ Rawas zeigte auf den Zettel, der hinter ihm an dem Laternenpfahl hing. „Ein richtiger Vater mit Kind und so und allem drum und dran!“

Theo beugte sich nach vorne, um den Zettel zu lesen. Dann lachte er.

„Zu früh gefreut“, sagte Theo. „Rawabi heißt du doch wohl nicht, oder?“

„Häh?“ Rawas verstand nicht.

„Musst schon ganz um den Pfahl rumlesen. Da steht Rawabi, nicht Rawas. Haste noch mal Schwein gehabt. Komm, lass uns einen trinken“, schlug Theo vor.

Rawas las den Zettel erneut, diesmal ganz. Er zuckte die Schultern, griff in die Tüte und biss ein großes Stück von der Schrippe ab. Würde er stattdessen eben mit Theo einen trinken gehen.

1 Kommentar:

  1. au weia, was für komische nachrichten is überall in Berlin gibt - schon eine verrückte, charmante Stadt ! Hier ist auch eine schöne Story von einem Berliner (zuvor) Strassenmusiker vom Alexanderplatz:http://smart-magazine.com/space/alexanderplatz-georg-auf-lieder/ vielleicht kennt ihr ihn ja sogar !

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