Bei der ersten Dose war es Neugier gewesen. Jo wollte sehen,
wie ihr kleiner Bruder mit der weißen Creme im Gesicht aussehen würde.
„Halt still, dann kriegst du nachher auch einen Lolli von
mir“, hatte sie Samuel bestochen und dann die blaue Dose geöffnet.
Weil Samuel Lollis mehr liebte als alles andere auf der
Welt, hatte er keine Miene verzogen, als Jo ihm die Creme auf Wangen, Stirn und
Nase geschmiert hatte. Mit dem Ergebnis war seine große Schwester so zufrieden
gewesen, dass sie Samuel noch einen zweiten Lolli versprach, wenn sie ihm auch
die Hände, Arme und den Oberkörper einschmieren durfte. Später waren noch
weitere Lollis dazugekommen und nun – eine Stunde später – war Samuel von Kopf
bis Fuß in weiße Creme gehüllt und stolzer Besitzer von acht Lollis. Er sah
aus, als hätte man ihn von oben bis unten mit Sprühsahne eingesprüht.
Die siebenunddreißig blauen Dosen, die dafür nötig gewesen waren,
hatte Jo aus dem Keller geholt. Ihre Mutter liebte Sonderangebote und kaufte die
Schnäppchen immer gleich kartonweise ein.
„Das fühlt sich blöd an“, maulte Samuel.
„Sieht aber super aus“, erwiderte Jo. „Du bist ganz weiß!“
„Ich will aber nicht weiß sein.“ Samuel fing an zu weinen.
„Mach das weg!"
„Wenn du unbedingt willst.“ Jo konnte ihre Enttäuschung nur
schwer verbergen und holte ein paar Handtücher aus dem Bad.
Es war gar nicht so leicht, die Creme von Samuels Haut zu
wischen. Die Schicht war zu dick und ließ sich auch nicht einfach so einmassieren.
Mit Wasser ging es auch nicht viel besser. Das muss mit dem Fett in der Creme
zu tun haben, dachte Jo. Sie erinnerte sich, dass sie so etwas Ähnliches mal im
Chemie-Unterricht gelernt hatte.
„Am besten, du kletterst in die Spülmaschine“, sagte Jo. „Da
bist du das Zeug sofort wieder los.“
Jo hatte das mal im Kinderfernsehen gesehen. Da hatte der
Moderator eine ganze Schwarzwälder Sahnetorte in die Spülmaschine gestellt und
als sie durchgelaufen war, war die Torte verschwunden. Das Spülprogramm hatte die
fettige Sahnecreme komplett aufgelöst.
„Ich will nicht in die Spülmaschine“, heulte Samuel.
„Du musst aber“, erwiderte Johanna und zog ihren Bruder in
die Küche. „Kriegst auch noch zwei Lollis von mir.“
„Echt?“
„Echt!“
Jo räumte die Geschirrkörbe aus der Maschine, um Platz für
ihren kleinen Bruder zu schaffen. Dann gab sie ihm eine Taschenlampe, damit er
sich im Dunkeln nicht fürchtete, und drückte ihm zwei weitere Lollis in die
Hand.
Jo stellte das Kurzprogramm ein und nutzte die Zeit, die siebenunddreißig
leeren blauen Dosen in der gelben Tonne auf dem Hof verschwinden zu lassen.
Nach exakt dreißig Minuten machte es PLING. Jo öffnete die Tür und half ihrem
Bruder ins Freie. Die weiße Creme war tatsächlich verschwunden, dafür aber war Samuel
Haut jetzt so rot wie bei einem gekochten Hummer.
„Das Wasser war heiß“, jammerte Samuel.