Papa und ich saßen zusammen auf dem Sofa. Ich durfte aufbleiben und mit ihm einen Krimi gucken. Ausnahmsweise. Weil ich heute die dreitausend Flaschen zum Container getragen hatte. Und weil Mama nicht da war. Weiberabend bei ihrer Freundin. Mama hätte das mit dem Krimi nie erlaubt.
Die Wasserleiche hatten sie gleich am Anfang gefunden. Die war schön eklig. Danach wurde es ziemlich langweilig. Nur noch Gerede und keine Action mehr. Egal. Es war trotzdem cool mit Papa auf dem Sofa. Wir aßen scharfe Chips.
Plötzlich hörten wir Lena leise aufschreien. Papa stellte den Fernseher stumm und lauschte besorgt.
„Sie hat bestimmt nur schlecht geträumt“, sagte ich. Papa nickte.
Wir warteten. Vielleicht schlief meine kleine Schwester ja weiter und hatte ihren Traum schon längst vergesssen. Hatte sie nicht. Sie kam ins Wohnzimmer gelaufen. Als Lena uns sah, fing sie richtig an zu heulen. Laut wie eine Sirene. Dann stürzte sie in Papas Arme. Er redete beruhigend auf sie ein. Im Fernseher war der langweilige Krimi fertig. Nun erzählte ein noch langweiligerer Typ die neuesten Nachrichten. Der Ärger, den die Neoklingonische Sternenkreuzer Allianz machte, schien nicht so schlimm zu sein. Oder was auch immer NSA bedeutete. Ich erfuhr das nicht, der Fernseher war ja stumm. Aber die wichtigen Leute auf dem Bildschirm schüttelten sich lächelnd die Hände. Alles easy peasy.
„Ich gehe nicht mehr in mein Bett“, weinte Lena laut. „Nie wieder.“
Papa streichelte ihren Kopf. „Aber Lenchen, das ist doch dein Prinzessinenbett in deinem Königreich.“
Ich musste ein bisschen grinsen. Gestern hatte meine kleine Schwester einen Zettel an die Tür geklebt. Darauf hatte sie drei Strichmännchen gemalt. Ein großes und ein kleines waren Papa und ich. Das dritte hatte lange Haare und sollte Mama sein. Alle drei Männchen waren mit einem dicken roten Filzer durchgestrichen. „In mein Königreich darf nur einer rein, wenn ich das erlaube“, hatte Lena geschrieen. Ich weiß gar nicht mehr, worüber sie sich eigentlich vorher geärgert hatte.
„Ich geh da nicht mehr hin“, schluchzte Lena.
„Warum denn nicht?“, fragte ich.
„Da ist ein ganz großes Ohr an der Wand rausgewachsen“, sagte sie und weinte wieder los.
„Liebes Lenchen, das hast du nur geträumt“, murmelte Papa in Lenas Ohr.
„Nein, das ist da ganz in echt. Es wackelt und hört mich. Egal, was ich mache, es dreht sich zu mir hin. Auch wenn ich nur ganz leise flüstere“, schluchzte Lena.
Wow, gruselig. Der Alptraum meiner kleinen Schwester schien auf alle Fälle spannender als der Krimi gewesen zu sein. Ein riesiges Ohr, das aus der Wand wuchs und sich lauschend bewegte. Eklig.
„Warum hast du dich denn nicht unter der Bettdecke versteckt?“, fragte ich.
Lena wurschtelte sich aus Papas Armen. „Weil das nicht geht. Ist doch logisch“, schrie sie mich an. „Weil an meinem allerallerliebsten Kuschelkissen auch ein Ohr dran ist.“ Sie wirft sich zurück in Papas Umarmung.
Ich musste mir das vorstellen. So ein knorpliges Ohr am Kissen. Ob sich das weich anfasste und warm war? Eine Gänsehaut kroch mir den Nacken entlang.
„Und an meinem Schrank sind riesengroße Augen. Ganz echte“, weinte Lena. „Die gucken mich die ganze Zeit an. Ohne blinzeln. Und an der Kommode sind auch welche dran. Und an Teddy auch, aber nicht am Kopf. Am Bauch!“
Igitt! Ohren- und Augeninvasion im eigenen Zimmer. Meine arme Schwester. Was für ein Horror! Ich zog die warme Decke, unter der ich lag, etwas höher.
Papa streichelte Lenas Rücken. Bald schluchzte sie nur noch leise.
„Liebes, kleines Lenchen. Es ist alles gut. Das war nur ein böser Traum. So etwas gibt es nicht in Wirklichkeit“, brummte Papa.
Seine Stimme war echt beruhigend. Und alles war gut.