Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 15. Januar 2015

Billy Wilder – Rüdiger Bertram

Das Wunder war geschehen: Sie hatte mich angelächelt, sie hatte mir zugehört und sie hatte eingewilligt. Sie wollte mit mir ins Kino gehen, gerne sogar, hatte sie gesagt, und ich sollte den Film aussuchen.
Ich hatte letzte Woche zum siebten oder achten Mal „Taxi Driver“ gesehen. Da schleppt De Niro seine Angebetete beim ersten Date in sein Stammkino, das ausschließlich skandinavische Pornofilme zeigt.
Keine gute Idee.
Bei der Filmauswahl konnte man einen Haufen Fehler machen. Und ich wollte keine Fehler machen. Ich wollte, dass dieser Abend einfach perfekt wurde.
Also was gucken?
Einen Actionfilm? Zu laut.
Eine Romantic-Comedy? Zu eindeutig.
Einen deutschen Film? Keine schlechte Idee, aber die Fassbinder-Retrospektive war leider vor ein paar Tagen mit „Martha“ zu Ende gegangen. Pech.
Ich entschied mich für einen Klassiker: Billy Wilders „Some like it hot“. Damit konnte ich nichts falsch machen, dachte ich. In meiner Top-Ten-Liste der besten Filme aller Zeiten belegt der Platz drei und zufällig zeigte mein Stammkino den am Freitagabend.
Sie kannte den Film noch nicht und fragte mich, ob die Monroe nicht auch mal bei Tiffany gefrühstückt habe. Das hätte mich warnen sollen. Aber ich wollte nicht gewarnt sein. Ich wollte einen schönen Abend haben. Und ich wollte, dass dieser arrogante Student an der Kasse mich mit ihr sieht und endlich erkennt, dass ich nicht so ein einsamer Freak bin, wie seine anderen Stammkunden.
Tatsächlich sind ihm fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als ich mit ihr im Kino aufgetaucht bin. Und den anderen auch. Sind ja immer dieselben da. Einer von denen hat sogar sein Bier verschüttet, als sie an der Kasse nach Popcorn gefragt hat. War ja auch eine dumme Frage. In dem Kino gibt es kein lautes Popcorn. Und stinkende Nachos auch nicht. Höchstens Hustenbonbons.
Im Saal wollte sie unbedingt in die letzte Reihe. Dabei weiß doch jeder, dass die perfekte Entfernung exakt der Diagonalen der Leinwand entspricht. Ich habe es ihr erklärt, aber sie hat das Wort Diagonale nicht verstanden. Ich habe mich auf meinen Stammplatz gesetzt und sie sich neben mich. Links ging nicht, da stelle ich immer meine Schuhe ab. Aber zum Glück war der Platz rechts frei. Sonst hätte sie sich in die Reihe vor mir setzen müssen und das wäre ja blöd gewesen.
Dann ging auch schon das Licht aus und der Film fing an. Ohne Reklame. Nur der reine pure Film. Deswegen liebe ich dieses Kino so sehr. Sie liebte es nicht und fragte die ganze Zeit, wann denn endlich die Eis-Werbung käme. Ich habe einfach nur leise PSST! gezischt, weil der Vorspann ja schon angefangen hatte. Da spricht man einfach nicht. Keiner. Niemals.
Sie doch. Die ganze Zeit hat sie mich gelöchert, warum die Bilder keine Farbe haben und warum die beiden Männer auf der Leinwand so altmodische Frauenkleider tragen. Die anderen im Kino haben schon begonnen, feindselig zu brummen, weil sie ja nichts sagen durften. Die kannten ja die Regel. Die waren ja öfters hier. Eigentlich immer.
Wenigstens schien ihr die Musik zu gefallen. Davon gibt ja eine Menge, der Film handelt ja schließlich von einer Damenkapelle. Sie hat mitgesungen und dabei sogar das Brummen der anderen Besucher übertönt. PSSST! habe ich wieder gezischt. Diesmal etwas lauter. Da hat sie mit dem Singen aufgehört und wieder angefangen, Fragen zu stellen: Ob ich oft ins Kino ginge? Und ob ich Dirty Dancing auch so toll fände? Noch bevor ich wieder PSSST machen konnte, hat ihr Handy GEKLINGELT und sie ist RANGEGANGEN. Als sie mit ihrem Gespräch fertig war, war das Jahrestreffen der Freunde der italienischen Oper bereits in vollem Gange.
Ich habe mich zu ihr gedreht und sie vorwurfsvoll angeschaut. Aber nur kurz, ich wollte ja nichts von dem Film verpassen. Da hat sie sich entschuldigt und versprochen, ab jetzt MUCKSMÄUSCHENSTILL zu sein. War sie auch. Dafür hat sie angefangen, mich zu begrabschen. Ihre Hände waren plötzlich überall. Dann hat sie sich auch noch zu mir herübergebeugt. Ihr Gesicht war ganz dicht vor meinem. Das war blöd, weil ich so die Leinwand nicht mehr sehen konnte. Dabei liebe ich den Schluss dieses Films. Der ist einfach perfekt. Aber mit ihren Fingern, die wie die Spinnen in „Arachnophobia“ über meinen Körper krabbelten, konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich habe sie an der Schulter gepackt und sanft aber bestimmt zurück auf ihren Sitz gedrückt. Ihre Hände kamen noch zweimal, aber ich habe sie immer wieder weg geschoben. Dann saßen die Monroe, Lemmon, Curtis und Joe E. Brown auch schon im Motorboot und der Film war zu Ende. Sie ist vor mir raus, weil sie keine Lust hatte, sich den Abspann bis zum Schluss anzuschauen und den Film noch ein bisschen auf sich wirken zu lassen. Als ich eine Viertelstunde später ins Foyer kam, war sie verschwunden. War aber nicht weiter schlimm. Es gab dann nämlich noch eine Spätvorstellung von „Manhattan“ und bin mir ziemlich sicher, dass ihr der Film auch nicht gefallen hätte. Der hat ja auch keine Farbe. Aber was soll’s, nobody’s perfect.

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