Ich zog den Zettel vom Baum.
Es ließ sich nicht verhindern, dass meine Finger dabei zitterten. Es ließ sich nicht verhindern, dass ich stoßweise und abgehackt atmete, wie ein Ertrinkender. Es ließ sich nicht verhindern, dass sich alles um mich herum drehte und ich befürchtete einfach das Bewusstsein zu verlieren.
Ein Zettel. Ein Zettel mit einem Bild darauf. Einem Foto.
Im Hintergrund sah man eine Brücke, die das Foto in zwei Hälften teilte. Im oberen Teil pappte ein milchiger Mond. Vom unteren Teil starrte ich selbst mich an! Weit aufgerissene Augen, die linke Hand, abwehrend gegen jemanden gerichtet, der nicht zu sehen war.
Ich versuchte dieses Gefühl herunter zu schlucken, aber es blieb mir im Hals stecken und legte sich schließlich um mein Herz, wie um es am schlagen zu hindern. Ich spürte nur noch das quälende, dumpfe Echo aus meiner Brust, sonst nichts.
Dann, endlich, konnte ich wieder schlucken. Spürte meine wackeligen Knie und schmeckte bittere Angst am Gaumen.
Mein Blick fiel auf den nächsten Baum, den übernächsten, alle anderen Bäume im Park... und...
...der Zettel entglitt meiner bewegungsunfähigen Hand.
Bevor er den vernarbten Boden berühren konnte, hatte mich die Erkenntnis wie ein Tritt in den Magen erreicht. Ihre Endgültigkeit manifestierte sich in einem Schrei der nichts änderte.
Ich schaute mich selber an, von dutzenden anderen Zetteln, auf hundert verschiedene Arten, an allen Bäumen dieses verdammten Parks. Ich grinste und feixte mir entgegen, auf Fotos, die ich nie von mir gesehen hatte – absurde Posen und Gesichter, noch absurdere Orte, an denen ich nie war – ein Potpourri des fotografierten Wahnsinns, eine Unmöglichkeit – hunderte, tausende Male und immer wieder!
Ich sackte zusammen, rollte mich ein und übertönte alles um mich herum mit dem Schrei, der immer noch aus mir herausfloss. Ein Quell der Hoffnungslosigkeit, der doch irgendwann versiegte...
Die folgende Stille war mächtig. Sie kam von überall und blieb.
Als ich die Augen öffnete, war das Trugbild verschwunden. Der Park lag vor mir, in seiner spätsommerlichen Schlichtheit, satt, aber müde. Keine Zettel mit Fotos von mir an den Bäumen, kein Zettel auf dem Weg vor meinen Füßen.
Ich machte einen halbherzigen Schritt nach irgendwo. Raus hier.
Das Laufen wurde leichter, die Schritte synchroner, der Atem regelmäßiger. Schon bald lag der Park hinter mir und ich spürte alle Körperteile wieder.
Ich schüttelte den Kopf über mein Verhalten, lachte leise und schüttelte nochmal den Kopf. Ein letzter Blick nach hinten: Nichts! Keine Zettel, nirgendwo.
Alles war gut. Ich hatte mich beruhigt und das Gefühl, den Schock weggesteckt zu haben. Es fühlte sich bereits so an, als sei das alles nur ein schlechter Traum gewesen.
Bis zu dem Moment, als mir ein Unbekannter entgegen kam, den Hut abnahm und mir zuzwinkerte, als ob er mich kennen würde...
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