Unsere Mütter waren Kindergartenfreunde gewesen und auch wir
spielten zusammen im Sandkasten. Aber dann waren Ella und ihre Mutter vor
Jahren in eine Kommune ins Nirgendwo gezogen.
Eines Tages saßen sie plötzlich bei uns im Wohnzimmer und
Ella war das schönste Wesen der Welt. Das im Normalfall niemals mit mir geredet
hätte. Da machte ich mir nichts vor. Eigentlich redete Ella auch gar nicht mit
mir. Und ich hatte bei ihrem Anblick sowieso akute Wortfindungsschwierigkeiten.
Das Ganze war also eine ziemlich schweigsame Angelegenheit. Unsere wiedervereinten
Mütter schickten uns ins Kino. Sie wollten das Dilemma nicht länger mit ansehen
müssen und Geheimnisse austauschen, Prosecco trinken oder was Mütter eben so zusammen
machen.
Vom Film bekam ich nicht viel mit. Neben mir saß Ella und
ihre Schulter berührte mich.
„Wie fandest du´s?“, fragte sie im Abspann.
Ich wollte schon „Ganz gut“ lügen. Da landete plötzlich ihre
Hand auf meiner Brust.
„Felix, bleib sitzen!“, raunte sie und ich tat es. Ihre
Berührung brannte sich durch mein Shirt. Ich versuchte, nicht zu sterben.
„Siehst du das?“ Die unglaubliche Panik in Ellas Stimme
brachte mich halbwegs wieder zur Vernunft.
Ich sah mich um. Im noch dunklen Kino schienen alle Sitze
besetzt zu sein. Niemand war bisher aufgestanden. Das Licht unzähliger Displays
malte die Gesichter der Kinobesucher blau an. Es war nichts Ungewöhnliches zu
sehen.
„Nö“, sagte ich.
„Sie werden uns gleich entdecken“, wisperte Ella. „Wir
leuchten nicht blau, so wie die anderen.“
Überrascht schaute ich sie an.
„Wir haben keines dieser Geräte, mit denen sie alles
kontrollieren“, fuhr sie leise fort.
Klar, sie lebte in einer Kommune im Nirgendwo. Aber meinte
sie das tatsächlich ernst? Die Leute checkten doch nur, was ohne sie in der
Welt der virtuellen Freunde passiert war und wie viele Likes es gebracht hatte,
dass sie gerade im Kino saßen. Immerhin waren sie ganze zwei Stunden offline
gewesen.
„Das sind doch nur Smart Phones“, sagte ich.
„Pscht!“ Ella legte mir zwei Finger auf die Lippen. Wenn sie
es gewollt hätte, ich wäre für immer verstummt.
„Hast du irgendetwas, das leuchtet? Womit wir uns tarnen
könnten?“, raunte sie.
Mein iPhone, hätte ich fast gesagt.
Ich gab ihr die kleine LCD Lampe, die ich am Schlüsselbund
trug. Ella schmiegte ihr Gesicht an meines und strahlte uns von unten an. Dann legte
sie den Arm um meine Hüfte.
„Sie werden kommen, um uns zu holen“, flüsterte sie in mein
Ohr.
„Wer sind sie?“, fragte ich mit kieksender Stimme. Ich
spürte ihren Arm, ihre Wange an meiner und ihren Atem, der nach Popcorn roch.
„Die neurologische Kontrollgarde. Sieh doch, die anderen
haben sie schon paralysiert. Sie werden gleich da sein. Wir müssen fliehen! Komm!“
Auch wenn Ella total durchgeknallt war, wollte ich mit ihr
überall hingehen.
Wir standen auf. Eng aneinander gedrückt und von unten
beleuchtet schlichen wir hinaus. Auch draußen bekam ich kaum Luft. Obwohl ein
Wind wehte. Ella nahm den Arm von mir und ich atmete tief ein.
„Hast du etwa auch so einen Manipulator und
Hirnzellenzerstörer? Dann solltest du ihn jetzt vernichten“, beschwor sie mich.
Ich schüttelte hektisch den Kopf und merkte im selben Moment
ein verräterisches Vibrieren in meiner Hosentasche. Schnell legte ich meine
Hand darauf.
Da begann Ella auf einmal zu lachen. Tränen liefen über ihre
Wangen. Sie konnte sich gar nicht mehr einkriegen. „Du hast mir das ganze
Theater abgenommen, stimmt´s?“, fragte sie.
„Quatsch!“, sagte ich. Meine Stimme befand sich noch immer
in einer völlig verkehrten Tonlage.
Plötzlich hielten wir uns an den Händen.
„Los, gib es zu! Du hast mir geglaubt“, gluckste Ella. Ihre
Augen funkelten in der Dunkelheit.
„Quatsch“, murmelte ich noch einmal.
Hinter uns öffneten sich die Türen des Kinos. In Zweierreihe
kamen sie, noch immer auf ihre Displays starrend, im Gleichschritt herausmarschiert.
Kein Wunder, dass sie nicht sahen, als sich vor ihnen ein riesiges Loch in der
Straße öffnete. Bevor sie alle hineinfielen, drehten wir uns um.
Hand in Hand rannten Ella und ich in die Nacht.
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