Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 13. März 2014

Abnehmen – Antje Herden


„Du willst mein Leben zerstören!“, schreie ich dich an. Doch du antwortest nicht.
Ich weiß, du willst das nicht hören und ich sehe den Schatten, der kurz deine glänzende Fassade verdunkelt. Nicht lange. Oh nein, denn du bist nicht schuld an der Misere. Du willst nur mein Bestes. Ha!
Leider kann ich nicht mehr sagen, das bekommst du aber nicht. Meine besten Zeiten sind ganz offensichtlich längst vorbei.

Unzählige Male habe ich dir ein: „Schluss! Das war´s!“ entgegengeworfen.
Vom ersten Moment an, da ich dich mit nach Hause nahm, ahnte ich, dass das ein blöder Fehler war. Du durchschautest jedoch, dass ich nicht die Stärke haben würde, die es bräuchte, dich wieder aus meinem Leben zu verbannen. Du weißt, dass ich dir gehöre. Ganz und gar. Ob ich das will oder nicht.
Meine Zurückweisungen hast du mit einem müden Lächeln quittiert, das dir kaum die Mundwinkel kräuselte.
Und du hast Zeit.

Wo ist mein Stolz geblieben? Wo das Gefühl, dass ich nicht eine bin, die leicht zu haben ist? Sondern eine, für die man kämpfen, um die man sich bemühen muss.
Ich war schön und mir meiner selbst gewiss. Du hättest um meine Gunst betteln müssen. Nicht, dass ich das gewollt oder gar gebraucht hätte. Es wäre einfach nur so gewesen. Damals als ich das gar nicht wusste, weil es keine Rolle spielte.

Ich springe auf und werfe meine Jacke über. Ich muss weg von dir, raus an die Luft und ein paar Schritte gehen.
Es ist kalt, aber die Sonne scheint. Sie wirft meinen Schatten auf den Bürgersteig. Schwer und gebeugt sehe ich ihn sich neben mir herschleppen. Das traurige Abbild des Bildes, das ich biete. Mir kommen die Tränen des Selbstmitleids. Doch während ich deren Salz noch schmecke, renne ich nach Hause. Genug ist genug.

Du blickst mir entgegen.
Dieses Mal ist dein Lächeln liebevoll. Einladend.
Du hast die Wahrheit in meinen Augen erkannt.
Nimm mich. Ich bin da.
Ich erkläre meine Kapitulation und greife nach dir.
Bereitwillig lässt du dich von mir ausziehen.
...

„Heute ist es soweit“, kräht mein Sohn aufgeregt, als er aus der Schule kommt. Er schmeißt seinen Ranzen in die übliche Ecke und verschwindet sofort in seinem Zimmer. Ein mulmiges Gefühl bemächtigt sich meiner. Zu Recht. 
„MAMA!!!!“
Er kommt aus seinem Zimmer wieder herausgerannt, bremst nicht ab, als er um die Ecke ins Wohnzimmer biegt, bleibt abrupt erst vor mir stehen, die ich dort auf dem Sofa sitze. Er stemmt die Arme in die Hüften. Kleine Wutwolken dampfen aus den Ohren meines Kindes und aus seiner Nase. Seine grünen Augen blitzen in gerechtem Zorn.
„Ja, mein Schatz. Was ist denn los?“, frage ich harmlos interessiert, wie ich hoffe, und ärgere mich, dass meine Stimme dabei umkippt wie ein leerer blecherner Eimer im Wind oder der Ententeich im Park Ende August. Schnell lasse ich eine kleine harte Glanzpapierkugel in der Sofaritze verschwinden.
„Wer ...“, beginnt mein Sohn entrüstet.
Dann muss er noch einmal Luft holen, weil die ihm der Ärger nimmt, und er viel davon braucht, um mir seine verhängnisvolle Frage entgegen zu brüllen.
„Wer hat meinen Schokoladenweihnachtsmann aufgegessen?" 

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