„Komm, dein Essen wird welk!“ oder
„Los jetzt, Wiese knabbern, du Ochse!“ waren
schon in den Wendejahren gängige berlinerische
Fleischfresser-Floskeln, um die damals noch deutlich als Randgruppe
wahrgenommene Spezies der Vegetarier zu degradieren.
Es waren harte Zeiten für einen wie mich. Dünn,
grünhaarig, fleischlos. Inmitten einer Stimmung bröckelnder
Fassaden. Gesellschaftlichen und architektonischen. Um einen herum politisches
Niemandsland, Unsicherheit und Angst. Kein Platz für so was Banales
und Seltsames. Das Leben war seltsam genug.
Soviel zum Vorspiel, nun zum Szenario: Punk-Konzert der
Abstürzenden Brieftauben in einem der damals noch üppig
vorhandenen besetzten Häusern im Friedrichshain. Mein Hirn
will mir in einer vernebelten Erinnerung das K9 in der Kinzigstraße
vorgaukeln, aber ich glaube, da bringt es was durcheinander. Im K9 war regelmäßig
sogenanntes Stiefel-Saufen, da gab es keine Erinnerungen. Nichtmal vernebelte.
Jedenfalls waren wir, meine zwei Homies E und A und ich,
auf dem Weg zur Bahn. Als Köpenicker ohne Führerschein, aber
mit dem Bedürfnis nach Subkultur war der Gesindel-Container damals nicht
wegzudenken. Der Rand Berlins gehörte Anfang der 90er noch nicht
wirklich dazu. Tut er heute eigentlich auch nicht, aber heute ist das so
gewollt.
Uns gegenseitig stützend, der eine das
Bier des anderen haltend oder auffangend, die Pogo-Wunden notdürftig
verarztet, kamen wir am Bahnhof an. Nur kurz war da so was wie Erleichterung,
die erste Etappe auf dem Weg nach Hause unbeschadet überstanden zu
haben, denn plötzlich wurde ich eines Rudels Glatzen gewahr.
Es ist wichtig, zwischen Glatzen und Glatzen zu
unterscheiden. Es gibt die guten Skins (und zwar nicht wenige!) - erkennbar an
einem stylischen, sehr genrebewussten Äußeren. Meistens
Perry-Polos oder -Hemden, blitzblanke Boots, enge Jeans, Dunkee-Jackett, etc. -
Der klassische Skinhead war noch nie Nazi, auch wenn Teile der Öffentlichkeit
das bis heute nicht verstanden haben. - Und es gab (und gibt) - natürlich
- auch die Hohlbratzen, Boneheads, Faschos, Nazi-Skins. Auch recht leicht
erkennbar an einer äffischen Physis, extrem dämlichen
Gesichtern und einer Stimmen-Aussprache-Konstellation, die irgendwo im
Neandertal anzusiedeln ist.
„Moin, ihr Zecken!“, sagte
der Hässlichste von allen dann auch sofort im besten Neandertalisch,
noch bevor ich E und A auf die Gefahr hinweisen konnte.
Affen-Glatze schaute auf uns herunter und wischte sich über
den Mund, als wenn wir das Leckerste wären, das ihm seit seiner Entlassung vor
die Baseballkeule gekommen war. Innerhalb von zehn Sekunden waren wir vom
Rest-Affen-Rudel umstellt. Das würde Aua! werden, soviel war klar.
E, kategorisch der mit der höchsten
Promille-Kurve und der langsamsten Verzahnung, aber auch einer der Verlässlichsten
in etlichen hoffnungslosen Szenarien, brummte ein „Moin!“ zurück
und schaute dem Ober-Affen neugierig ins vom Sternburg verquollene Antlitz. Als
der sein zahnloses Maul zu einem vermutlich verheißungsvoll-bedrohlichen
Grinsen öffnen wollte, legte E nach: „Watten los, Leute?“
Ober-Affe konnte sich vermutlich gerade so davon
abhalten, auf der Brust rum zu trommeln, und auch einige andere im Rudel
begannen, in freudiger Erwartung zu geifern und sich an ihrem Sabber zu
verschlucken.
Mir wurde schlecht - und noch schlechter, als A mich plötzlich
anstupste. „Na los, K, sags ihnen!“
„Hä?“, machte
ich und war froh, dass da Stimme war und nicht nur ein zittriges Fiepen.
Auch E fiel ein, wobei ich mir bis heute absolut sicher bin, dass
er keinen Plan von A´s Plan hatte. Aber die beiden waren Brüder.
Da war es leicht sich immer mal wieder als drittes Rad am Wagen zu fühlen.
„Watt wollt ihr denn?“, blökte ich sie nun an
und wurde beinahe wieder nüchtern.
Einige Affen-Glatzen kratzten sich ratlos die Köpfe,
einer kotzte, ein dritter pinkelte sich ein während er stramm
stand. Nur Ober-Affe schaffte es tatsächlich noch gefährlicher zu
schauen.
A, ein für unsere Kreise sehr zurückhaltender,
fast intellektueller Geist mit unglaublichem Wissen, aber eben auch einem ausgefallenen
Musikgeschmack, machte ein Gesicht wie mein früherer Mathelehrer
Herr Wilke, wenn er uns Kinder rügte. Dann hob er auch noch den (pädagogischen)
Zeigefinger und zeigte mit ihm auf mich. „Ihr solltet uns mal
besser durchlassen. Der Typ hier is nämlich Vegetarier!“
Nur die einfahrende Bahn zerstörte die filmreife
Stille, die entstanden war. Keiner im Affenrudel wusste, wie er schauen sollte.
Manche zeigten Anzeichen von Angst, andere von Verwirrung. Sie sahen in dem
Fall aber nicht intelligenter aus als E und ich.
„Watt is der?“, fragte Ober-Affe und machte einen
halben Schritt nach hinten.
A war ganz in seinem Element. „VegetARIER!“, sagte
er mit einer Betonung, die einfach keine Interpretation offen ließ.
„Krass!“, entfuhr es dem Affenrudel-Führer
und er machte noch einen Schritt nach hinten.
Dadurch entstand ein kleiner schmaler Gang, durch den A nun E und
mich lotste und dabei wissend nickte. Wir schafften es - unglaublich, aber wahr
- gerade so in die S-Bahn und
E ließ es sich nicht nehmen, der Affen-Horde
den Stinkefinger zu zeigen. Zum Glück schlossen sich genau in dem Moment
die Türen.
Wir sahen noch, wie der Ober-Affe einen seiner Gefolgs-Affen
ohrfeigte. Vermutlich weil er gefragt hatte, was ein VegetARIER war.
Nachwort: Resümierend möchte ich also
festhalten, dass fleischlose Ernährung in der Tat gesund ist. Und das
wird mir auch niemand ausreden können.
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