Ich war dreizehn und unsterblich verliebt. Er hatte die schönsten Augen der Welt, von meiner Existenz keine Ahnung und fuhr nachmittags im selben Bus.
Am Vortag dieser Geschichte hatte mir die Zahnarzthelferin die feste Spange von den Zähnen geklickt. An diesem Tag wollte ich den bisher nur von Ferne Angeschmachteten endlich einmal anlächeln.
Das hatte ich mit Bedacht vorbereitet. Obwohl ein ganzer Schultag dazwischen lag, hatte ich mich am Morgen an einer Frisur probiert, mir mit dem Mascara meiner Mutter Fliegenbeine geschminkt und aus ihrem Schrank einen meiner Meinung nach todschicken Overall sowie ein etwas zu kleines Paar Schuhe gemopst. Das Grinsen meiner Mitschüler ertrug ich stoisch. Die waren ein Jahr jünger als ich und hatten von der Liebe keine Ahnung.
Am Vortag dieser Geschichte hatte mir die Zahnarzthelferin die feste Spange von den Zähnen geklickt. An diesem Tag wollte ich den bisher nur von Ferne Angeschmachteten endlich einmal anlächeln.
Das hatte ich mit Bedacht vorbereitet. Obwohl ein ganzer Schultag dazwischen lag, hatte ich mich am Morgen an einer Frisur probiert, mir mit dem Mascara meiner Mutter Fliegenbeine geschminkt und aus ihrem Schrank einen meiner Meinung nach todschicken Overall sowie ein etwas zu kleines Paar Schuhe gemopst. Das Grinsen meiner Mitschüler ertrug ich stoisch. Die waren ein Jahr jünger als ich und hatten von der Liebe keine Ahnung.
Ich wusste, er würde um 13 Uhr 21 in den Bus vom Schloß ins
Viertel steigen.
Es war drei Minuten nach eins. Fünf nach klingelte es zum
Schulende, sieben nach fuhr die Bahn zum Schloß. Saß ich in der, dann erreichte
ich den Bus um einundzwanzig nach. Vier nach fiel dem Lehrer leider etwas
Superwichtiges ein, das drei Minuten dauerte, erzählt zu werden. Verflixt! Ich
sah die Bahn noch am Horizont verschwinden.
Das Schloß war drei Kilometer entfernt und ich hatte elf
Minuten Zeit. Das würde ich schaffen! Denn die Liebe verleiht Flügel. Ich zog
den Gurt meiner Schultasche etwas fester, holte noch einmal tief Luft und
rannte los.
Dass die Wege im Heimatstädtchen denkmalgeschützt
gepflastert sind, war mir zuvor noch nie aufgefallen. Und auch als beide Absätze
längst abgebrochen waren, erwiesen sich die ungefragt geliehenen mütterlichen Schuhe
noch immer als äußerst ungünstig. Kurzentschlossen ließ ich sie hinter mir
zurück. Ich würde sie vom Taschengeld bezahlen. Dass die spitze Glasscherbe
sage und schreibe fünf Jahre brauchen würde, bis sie schließlich aus dem
Mittelfinger der rechten Hand meinen Körper wieder verließ, konnte ich ja nicht
ahnen. Ich rannte barfüßig und so schnell ich vermochte zwischen den Bahnschienen
die Straße hinunter. Schon bald brannte es in meinem Hals, aber das lenkte mich
von den schmerzenden Füßen ab. Außerdem lag ich gut in der Zeit.
Der Opa mit dem Krückstock muss schwerhörig gewesen sein,
denn ich rief schon von weit her und auch sehr laut. Er blieb trotzdem stehen.
Vielleicht sogar mit Absicht. Damit hatte ich nicht gerechnet und rannte ihn
um. Schon mit dreizehn war ich sehr groß und hatte lange Arme. Damit umfasste
ich den alten Herrn, wir drehten uns einmal um uns selbst und dann gelang es
mir, mich im Fallen unter ihn zu werfen. Meine Hüftknochen donnerten
schmerzhaft gegen die herausstehenden Pflastersteine, doch wenigstens waren die
des Opas nicht gebrochen und ich nicht schuld an einem zu frühen Ende. Ob er
sich bei mir bedankte, weiß ich nicht. Ich musste weiter.
Natürlich hatte diese Performance kostbare Sekunden
gekostet. Ich beschleunigte meine Schritte. Nur darum konnte es passieren, dass
ich den Kinderwagen zu spät sah, der mir resolut von einer Kampfmutter in den
Weg geschoben wurde. Doch mir gelang es, auszuweichen. Meine gute Erziehung
ließ mich dann aber den Kopf wenden, um eine fröhliche Entschuldigung
herauszupressen. Darum konnte ich natürlich auch die Laterne nicht sehen.
Ich weiß, dass viele Menschen im Kino denken: ´Oh, welch ein
Klischee!´. Zum Beispiel, wenn eine gegen eine Laterne rennt. Solche Menschen
würden an meiner Seite wahrscheinlich verrückt werden.
Ich rannte gegen die Laterne und fiel ganz klassisch rückwärts
um.
Möglicherweise war ich ein klein wenig ohnmächtig geworden.
Sonst hätte ich „Nein!“ gerufen, als der nette türkische Ladenbesitzer aus eben
jenem herauseilte, um das Eiswasser seiner Fischtheke zu entsorgen. Er handelte
bestimmt aus reiner Nächstenliebe, aber das kam mir nicht in den Sinn, als ich
mit einem Entsetzensschrei in die Wirklichkeit zurückkam und mich in einer
eiskalten fischigen Lache widerfand.
Ich tat das einzig Vernünftige: stand auf, schüttelte die
Flossen aus meinen nassen Haaren, betastete vorsichtig meine Nase und rief:
„Wie spät ist es?“
„Siebzehn nach eins“, antwortete der Mann mit dem nun leeren
Wassereimer.
„Das schaffe ich noch!“, nahm ich mir die Zeit zu rufen und rannte
los.
„Willst du dir nicht wenigstens das Blut abwischen?“, rief
er hinter mir her.
Ich schaffte es.
Bevor sich die Bustüren schlossen, schlüpfte ich schnell hinein.
Abrupt wurde ich zurückgerissen. Dann öffnete der Busfahrer noch einmal die
Türen, damit ich auch meine Tasche hereinholen konnte.
Als ich schließlich die drei Stufen ins Wageninnere erklomm,
wichen die wenigen Fahrgäste ängstlich zurück. Ich ließ mich auf eine der
gepolsterten Bänke fallen und schloß zu Tode erschöpft die Augen.
Plötzlich spürte ich eine Flasche an meinen Lippen.
„Trink!“, sagte jemand.
Dankbar trank ich.
„Brauchst du einen Arzt?“
Ich schüttelte den Kopf. Nein, es würde schon gehen. Ich
würde überleben.
Es war übrigens nicht der Junge mit den schönen Augen, der
das sagte. Den habe ich nicht kennen gelernt. Dafür aber mich und was ich bereit bin, für die Liebe zu ertragen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen