Im halbblinden, angeschlagenen Spiegel des Bahnhofsklos sah mein
teigiges von durchzechten Nächten und billigen Drogen verquollenes
Gesicht genau nach dem aus was es war. Nur schlimmer.
Ich streckte mir selber die Zunge raus, sie war rissig und spröde,
belegt und aufgedunsen. In meinem linken Augenlid zuckte es, ich konnte aber
nichts finden, egal wie sehr ich das Lid nach oben zerrte und versuchte
dahinter zu schauen.
Ich malte auf dem Spiegel die Konturen meines Kopfes mit meinem
von Kotze verschmierten Finger nach, es wurde irgendwas gruseliges zwischen
Oktagon und Totemmaske. Es hatte ein Fischmaul, das sich zu öffnen
schien.
Ich verwischte es hektisch.
Möglicherweise war ich wahnsinnig
geworden! Dieser erschreckend klare Gedanke ließ mich
hysterisch auflachen, bis ich Schritte hörte und mich in
meine Klokabine zurück zog. Die letzte ganz hinten an der
Wand. Ich stemmte mich von innen gegen die Tür und lauschte und
versuchte kein Geräusch zu machen.
Mein Atem ging allerdings schwer.
Die Tür öffnete und schloss
sich gleich wieder. Die Schritte entfernten sich.
Tausend Interpretationen gingen mir durch den Kopf. Ein Spion?
Die Bullen? Die Russenmafia? Oder doch der gealterte Dorian Gray?
Ich kicherte wieder und sackte dann auf den gilbigen Kacheln
zusammen. Meine nasskalten Händen hielten die teigige Mischung aus
Okatgon und Totemmaske wie ein brüchiges Artefakt. Zwischen den Fingern
stieß ich röchelnd stinkenden Atmen aus, der froh
zu sein schien, mich verlassen zu dürfen.
Das Bildnis des Dorian Gray zu lesen hielt ich für
eine gute Idee - Absinth mit Stechapfel trinkend, Spice und dieses schwere
marokkanische Hasch-Öl-Konzentrat kiffend. Mir war schlecht
geworden und ich hatte mit einer nicht geringen Brise Rosé-Speed
auf den Zähnen dagegen angekämpft. Kurz erfolgreich. Kurz darauf
weniger erfolgreich.
Ich bekam hyperaktive Zuckungen und diesen ungesunden
Bewegungsdrang, der mich auf die Straße trieb.
Später, es können Stunden, aber
auch Tage gewesen sein, fand ich mich wieder, wie ich versuchte die
festgewordene Kacke im Becken eben jener, mir so lieb gewordenen Kabine am
Bahnhof abzupinkeln. Es gelang mir nicht, ich weinte, erst leise, dann
lautstark, dann trank ich literweise Wasser und versuchte es weiter - solange
bis ich erneut kotzen musste.
Es blieb egal, ob aus Ekel vor mir selbst oder der
widerspenstigen Kacke im Becken.
In einem Turky-Fieber-Traum sah ich Charles Bukowsky mit Oscar
Wilde knutschen, sie schoben sich ihre langen Pferdezungen übertrieben
in die Münder und machten widerliche Geräusche.
Ich schrieb mir ein paar Zeilen dazu auf und merkte, dass ich gar
kein Notizbuch dabei hatte. Ich fühlte mich elend und gleichzeitig so
frei wie noch nie in meinem Leben.
Das Lachen kam mechanisch, das Heulen auch.
Hilfe. Hurra. Hilfe. Hurra.
Ich linste durch einen Spalt nach draußen, in die
feindliche Welt.
Mein Blick fiel auf die verwischte Oktagon-Totemmaske und es war,
als hätte jemand die Freeze-Taste meines Körpers gefunden und
betätigt. Mein stilisiertes Spiegelbild-Fragment lächelte
mir mit seinem Kotze-Fischmaul zu, aus dem sich die Bukowsky- und Wilde-Zungen
schlängelten.
Hatte ich gerade wirklich um Hilfe geschrien, oder hatte ich es
mir nur gewünscht? Die Abstände zwischen den klaren und unklaren
Schüben wurden kürzer. Vor allem wusste ich längst
nicht mehr welcher Schub welcher war. Und Drogen gab es auch keine mehr.
Nur noch dieses kleine Leseheftchen in meiner Hosentasche.
Dieses vermaledeite Buch dieses vermaledeiten Schriftstellers.
Ich blätterte darin herum, als würde es Antworten
auf meine Fragen bieten oder hätte einen Plan für
die verwahrloste Stadt in meinem Kopf parat.
Alles war aus den Fugen geraten und ich befand mich mittendrin -
in Auflösung.
Nahtlos gingen die diffusen Gedanken ineinander über.
Eine Input-Achterbahn ohne Bremse.
Ich fuhr mit den immer noch kotzigen Fingern die einzelnen Zeilen
dieses Werkes nach.
Es war ein dechiffrieren meines Zustandes, anhand der Kreativität
eines anderen. Zumindest kam es mir so vor. Endlich war ich so betäubt
wie ich glaubte sein zu müssen.
Ich raffte mich auf, hörte das Blut durch meinen Körper
pumpen, spürte wie mich etwas verließ -
und schlug das Buch zu.
Irgendwo zwischen seinen Seiten verschwand ich für
immer.
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