Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 12. Februar 2015

Audrey Hepburn – Antje Herden


„Perfekt!“, freute sich der Hairstylist.
Ich drehte meinen Kopf vorsichtig hin und her, um den Haarturm darauf nicht zum Einsturz zu bringen, ihn aber trotzdem von allen Seiten betrachten zu können.
„Sieht wirklich hübsch aus“, sagte ich und stand auf.
„Hübsch?“, überschlug sich die Stimme des Juweliers. „Du bist die wunderbarste Audrey Hepburn, die man sich vorstellen kann.“
Er zupfte noch einmal an meinem schwarzen Kleid herum. Dann schnippte er mit den Fingern und ein Mädchen, das so alt wie ich war, doch das das irgendwann vergessen haben musste, tippelte in ihrem Bleistiftrock eilfertig herbei. Sie hielt ein Tablett in Händen darauf die Auswahl für mich. Der Juwelier legte mir Kette, Armband und Ohrclips an. Zum Schluß schob er mir den Ring über den Finger. Seine Zungenspitze versuchte, ihm dabei zwischen den Zähnen hindurch zu entwischen. Außerdem schwitzte er stark. Dann trat er selbst einen Schritt zurück.
„Wunderbar, einfach wunderbar“, stöhnte er.
Von dem Moment an hatte ich Horst am Hals. Ich weiß gar nicht, ob Horst wirklich Horst hieß, aber so nannte ich ihn heimlich. Horst folgte mir in einem Abstand von zwei Metern überall hin. Zuerst in den großen quadratischen Raum, der sich inzwischen mit dem schnatternden und glitzernden Partyvolk der ortsansässigen High Society gefüllt hatte. Wir liefen, wie uns geheißen, einmal quer hindurch, dann noch einmal längs und wieder quer. Das hätten wir eigentlich den ganzen Abend über tun sollen, doch unser Weg endete an der Bar. Wir setzten uns. Zumindest zwei von uns.
Wir das waren drei für diesen Abend gebuchte Models, die als Audrey Hepburn verkleidet eine Früstück bei Tiffany-Atmosphäre verbreiten sollten. Das war nicht allzuweit hergeholt, befanden wir uns doch in einem Düsseldorfer Gebäudekubus (Malkasten hieß der, glaube ich) auf der Präsentation der neuesten Schmuckstücke von Tiffany. Die Präsentationsflächen waren wir.
Wir jedoch nahmen unseren Job auf eine andere Art sehr ernst und machten das, was auch Holly auf einer Party getan hätte: Wir betranken uns.
„Meinst du, wir dürfen das?“, fragte ich die andere Audrey, die erstaunlicherweise auch Antje hieß und auf deren Sofa ich später übernachten sollte.
„Was sollen wir denn sonst machen?“, fragte sie grinsend zurück und wir ließen unsere Champagnergläser klingen.
Die Horsts standen im Zweimeter-Abstand hinter uns. Sie tranken nichts, sie unterhielten sich auch nicht. Sie waren einfach nur da.
Männer drängten sich zwischen uns und die Horsts, scharwenzelten herum, wie lästige Fliegen. Sie waren korpulent, trugen Glatze oder Toupet und die Farbe Rot im Gesicht, sie speichelten und wussten nicht so richtig, was tun, da der Barkeeper von sich aus und sowieso jedes unserer leeren Champagnergläser durch ein volles ersetzte.
„Eklig“, sprach mir die andere Antje aus der Seele.
„Wir könnten uns küssen, dann ist Ruhe“, schlug ich vor.
Die andere Antje lachte. „Im Gegenteil“, sagte sie und wir prosteten uns zu.
Die Horsts hatten im Gegensatz zu den erregten Millionären verstanden und schoben diese respektvoll doch resolut aus unserem Intimkreis. Dankbar boten wir Champagner an. Sie schüttelten verneinend die Köpfe.
Dann stellte der Caterer ein großes Tablett mit Canapés vor uns. Natürlich wussten wir, dass die für alle sein sollten. Eigentlich sogar für die anderen. Aber nun standen sie so günstig vor uns. Wir aßen Dinge, die wir nicht gewohnt waren. Sie schmeckten gut und wir waren brave Mädchen und wollten auch, dass das Wetter am nächsten Tag schön werden würde. Niemand von der illustren Schar der Millionäre griff zwischen uns hinduch zu den kleinen Broten. Wahrscheinlich war gar nicht geplant gewesen, dass überhaupt jemand wie ein Bollwerk zwischen Canapés und hungrigem Partyvolk an der Bar sitzen würde. Die Hocker hatten wir uns von den Horsts hinter einem Vorhang hervorholen lassen müssen.
„Super, dann brauchen wir nachher nicht noch die Nudeln aufzuwärmen“, sagte die andere Antje und wir prosteten uns zu.
Als ich zur Toilette musste folgte mir mein Horst im Zweimeterabstand. Vor der Kabinentür zögerte ich kurz.
„Wollen Sie hier auch mit rein?“, fragte ich.
Horst schüttelte den Kopf und postierte sich davor. Mir war es peinlich, dass er mich pinkeln hören konnte.
„Warum bewachen Sie mich eigentlich so?“, fragte ich darum im Plauderton. „Haben Sie Angst, ich könnte mit dem Schmuck einfach abhauen?“
„Nein“, sagte Horst. „Wir passen auf, dass euch niemand überfällt.“
„Zwischen all den Leuten hier?“, fragte ich scherzhaft.
„So ein Finger ist schnell mal unauffällig abgeschnitten.“
„Um Himmels Willen, das ist ja furchtbar!“, schrie ich auf.
„Das ist doch gar nichts“, sagte Horst und klang sehr zufrieden. Wahrscheinlich gefiel es ihm, dass ich gerade seine Wichtigkeit realisierte. Auch wenn Ort und Situation vielleicht etwas ungewöhnlich waren. „Was meinen Sie denn, was Menschen für viel weniger bereit wären zu tun.“
„Wieviel bin ich denn wert?“, fragte ich leise und blickte auf meine beringte Hand, die das schwarze Kleid hochgeschoppt hielt.
„Alles zusammen etwa 2 Millionen“, sagte Horst mit fester Stimme.
Beinahe wäre mir ein Ohrring ins Klobecken gefallen.
Als wir wieder ins Partygetümmel zurückkamen, achtete ich darauf, dass Horst nicht weiter als einen Meter siebzig hinter mir war.
Irgendwann sprach mich doch noch einmal einer der unzähligen Männer an. Eigentlich benahm ich mich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr wie Holly und schon gar nicht wie Audrey. Eigentlich hätte ich in mein Bett gehört. Das dachte der Mann wohl auch, allerdings fiel ihm dabei nicht meines oder der anderen Antje Sofa ein, sondern eines, das in seinem Schlafzimmer stand.
„Sie sind die schönste Audrey Hepburn, die ich je sah“, begann er.
Was für eine Unverschämtheit! „Die schönste Audrey Hepburn ist Audrey Hepburn, Sie Ignorant!“, empörte ich mich. Ich hörte die andere Antje kichern.
Beinahe hätte ich champagnerselig angefangen zu argumentieren, warum das so ist. Vielleicht hatte er ja noch nie einen Audrey-Film gesehen?
Doch der Mann lachte und ich begriff, dass das lediglich sein Sprüchlein war, mit dem er mich ins Bettchen zu bringen beabsichtigte. Er hatte sogar noch eines auf Lager.
„Wie wäre es morgen mit Frühstück bei Tiffany?“
„Nee, danke“, sagte ich und rutschte blöderweise ungewollt vom Barhocker, wobei mein Haarturm bedenklich ins Wanken geriet, obwohl ich seit einigen Stunden eigentlich den Eindruck hatte, der hätte sich längst aufgelöst. Ich bin es einfach nicht gewohnt, seidige Kleider zu tragen, die einfach so von Lederhockern rutschen. „Wir wollen es mal nicht übertreiben“, sagte ich, zumindest versuchte ich das. „Ich hatte schon Abendbrot bei Tiffanys.“
Dann hob mich die andere Antje vom Boden auf, die Horsts brachten uns in den Ankleideraum, wo man uns auskleidete, wir zogen unsere Hoodies an und wankten Moonriver singend durch die frühen Morgenstunden Richtung Schlafstatt.

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