Kalle war der Bestimmer, schon immer. Er war der Größte,
nicht der Stärkste, denn das war Kai. Aber Kalle war am längsten und er hatte
das größte Gehirn. Die Jungs hingen Kalle an den Lippen und machten, was
er sagte. Die Mädchen seufzten dazu verknallt. Aber Jana liebte ihn.
Ihre Eltern sahen es gar nicht gerne, wenn sie mit den Jungs im Bauwagen
spielte.
„Dieser Kalle ist agressiv, gewalttätig und absolut
unerzogen. Da braucht ihn seine Mutter auch nicht Kalli zu rufen“, hatte Janas
Papa irgendwann mal zu Janas Mama gesagt.
„Ich glaube, sie trinkt“, hatte Janas Mama gesagt, als wäre
das eine Erklärung für alles.
Aber es stimmte, Kalles Mutter nannte Kalle Kalli. Dafür
hasste Kalle die Alte, wie er den anderen im Bauwagen erklärte. Jana hatte es
richtig weh getan, als er das sagte. Aber ihrer Liebe tat das keinen Abbruch.
Im Gegenteil.
Später sah sie, wie Kalles Mama Kalle ins Gesicht schlug.
Volle Kanne und mitten auf der Straße. Außer ihr hatte das aber niemand gesehen
und sie hatte sich versteckt. Kalle weinte nicht, obwohl es weh getan haben
musste.
„Ich würde sie auch hassen“, hatte Jana in ihrem
Versteck geflüstert.
„Wir gehen heute Eis essen“, sagte Kai als Jana zum Bauwagen
kam. „Du bist auserwählt, du darfst mit.“
Janas Herz machte einen Hüpfer. Obwohl sie gar kein Geld
hatte für ein Eis und Melanie und Heike auch auserwählt waren.
„Ich habe kein Geld“, sagte Jana.
„Brauchen wir nicht“, knurrte Kai.
Janas Herz machte noch einen Hüpfer. Klauen! Das war verboten.
Wenn das rauskam, würde sie großen Ärger kriegen. Es durfte eben nicht
rauskommen. Und sie war die Erwählte.
Sie waren zu fünft und drängten sich in dem kleinen
Supermarkt im Innenhof des Wohnblocks um die Eistruhe.
Eigentlich ist es doch total bescheuert ein Eis zu klauen,
oder?, dachte Jana. Aber dann biss sie sich schnell auf die Lippen. Kalle war der
Bestimmer. Und Kalle hatte Eis gesagt.
„Das wichtigste ist, dass ihr cool bleibt“, raunte Kalle.
„Einfach rausgehen, bloß nicht rennen.“
Jeder nahm sich ein Eis am Stiel. Jana konnte sich nicht so
schnell entscheiden.
„Halte es einfach untern Rock oder stecks in die
Unterhose“, zischte Kalle ihr zu und schlenderte zum Ausgang.
Jana schaute auf ihren kurzen weiten Faltenrock.
Irgendjemand hatte eine Packung Margarine in die Eistruhe
gelegt. Jana griff danach. Da war so ein komischer Moment und auf einmal war die
Margarine genau das, was sie mitnehemen wollte.
Als sie die große Packung unter den Rock hielt, sah man das
genau. Ihre Arme waren viel zu kurz und der Rock rutschte bis zur Unterhose
hoch. Jana steckte die Margarine in die Unterhose. Als sie losließ, fiel sie
einfach heraus und plumpste auf den Boden. Der Unterhosengummi war viel zu ausgeleiert,
der hielt nichts, schon gar nicht ein Pfund Margarine. Sie machte sich krumm, bis ihre Arme lang genug waren, und verbarg die Margarine unter den weiten Falten.
„Was hast du da unterm Rock?“, fragte plötzlich eine
herrische Stimme hinter ihr. Gleichzeitig griff jemand nach ihrem Arm. Es tat
weh. Jana sah die anderen aus dem Laden flitzen.
Mama musste sie abholen. Die böse Frau aus dem Supermarkt
erzählte ihr die ganze Geschichte. Mama schaute Jana sehr traurig und bitter enttäuscht an.
„Aber warum Margarine?“, fragte sie auf dem Heimweg.
Jana zuckte hilflos mit den Schulter. Wie sollte sie das
erklären? Es war so ein komisches Gefühl gewesen. Es hatte etwas mit einem
Versprechen zu tun, das sie im Fernseher gesehen hatte. Mit Sonne und einer
lachenden Familie. Es hatte mit Wut zu tun und einer Mutter, die zwar Kalli
sagte, aber volle Kanne zuschlug.
Jana presste die Lippen zusammen und schwieg. Sie verstand
es doch auch nicht.
Jana durfte nicht mehr zum Bauwagen. Am
dritten Tag schlich sie sich trotzdem hin. Es regnete, darum waren sie alle
versammelt und hockten im Kreis wie ein Indianerstamm. In der Mitte lag ein
großer Haufen Süßigkeiten – Schokoladentafeln, Riegel, Drops und Gummibärchen.
„Was für ein Beutezug“, sagte Kai kauend und strahlte aus
seinen kleinen Augen über den dicken Backen.
Dann sah er Jana.
„Die hat Margarine geklaut! Und sich dabei erwischen lassen,
so was Blödes!“, rief er und zeigte mit dem Finger auf sie.
Alle prusteten los. Die Mädchen giggelten und hielten sich
die Hände vor die Münder. Kalle liefen sogar Lachtränen über die Wangen.
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