Es war kalt. Die Sonne würde noch zwei Stunden brauchen, sich durch den Nebel zu kämpfen, und der Ozean sah aus wie flüssiges Metall. Ich lief müde durch die noch öde Straße in Miami Beach und wusste nicht, wohin. Erst in zwei Stunden sollte ich mich am Ritz für ein Foto-Shooting einfinden. Doch der Jetlag hatte mich aus dem Bett getrieben. Der, und ein kleines Wesen mit vier krallenbesetzten Pfötchen, das über mein Kopfkissen gehuscht war. Einsamkeit riss in meinem Bauch herum.
Die Tür eines Cafés stand offen. Es saß niemand an dem riesigen u-förmigen Chromtresen, doch eine dicke kubanische Frau in einer schmuddligen Schürze und mit einem Schnurbart winkte mich herein. Sie zeigte mir den Platz, auf den ich mich setzen sollte, stellte eine Tasse Kaffee vor mich ab und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Der Kaffee war scheußlich, aber warm.
Ich trank und schaute mich um. Schließlich ließ mich ein sich wiederholendes Geräusch den Anblick der dicken Frau suchen. Sie schlug Eier in eine monströs große Pfanne. Fasziniert beboabchtete ich sie. In Gedanken begann ich mitzuzählen.
Sie schien meinen Blick zu spüren, denn sie drehte sich zu mir um.
"Eggs", sagte sie und lächelte breit mit beinahe zahnlosem Mund. "Much eggs."
"Fortysix", sagte ich. "At least." Denn die ersten hatte ich ja gar nicht mitgezählt.
"Much eggs", wiederholte die Frau und nickte. "You want?"
"No, thanks", sagte ich.
Sie füllte meine Tasse mit Kaffee.
Zuerst kam der knurrige Mann. Er sagte nichts, warf mir einen kurzen Blick zu und setzte sich auf seinen Platz am Tresen. Der musste ihm nicht erst gezeigt werden. Die Frau stellte ihm Kaffee und einen Teller mit Eiern vor die Nase. Ich stellte mir vor, dass es sechs waren. Er knurrte seinen Dank und aß. Wahrscheinlich sein Abendbrot.
Der Nächste trug einen Anzug und schlug kaum sitzend eine Zeitung auf. Sein Blick zuvor verweilte etwas länger auf mir. Vielleicht war da sogar ein kurzes Lächeln. Zumindest schien ich ihn nicht zu stören. Er bekam seine Eier. Vielleicht vier oder fünf.
Die hereinwankende Frau war betrunken oder todmüde oder beides. Sie ließ sich schwer auf ihren Hocker fallen. Haar, Gesicht und Kleid völlig derangiert.
"Just coffee", stöhnte sie.
"Oh sweetheart", seufzte die Dicke.
Der Knurrende knurrte, vielleicht mitleidig. Der Zeitungsleser gab der dicken Frau am Herd ein unauffälliges Zeichen. Vier. Vier Eier für die derangierte Frau. Auf seine Rechnung.
Die Dame im schicken Kostüm mit einer Frisur wie ein großer Helm und der Mann in der Uniform einer Wachgesellschaft kamen gleichzeitig. Er hielt ihr die Tür auf. Sie setzten sich auf ihre Plätze, die nicht nebeneinander waren.
Der Knurrer knurrte etwas beinahe Verständliches. Zumindest verstand die Dame etwas, denn sie fuhr sich lachend durch das Haar, das sich dabei nicht bewegte. Zwei Eier für sie und fünf für den Mann in der Uniform.
Der Zeitungsleser ließ die Zeitung sinken. Der Blick, der sich ihm bot, schien ihn zu befriedigen. Er nickte. Etwas schien so zu sein, wie es sollte.
Das Teenagerpaar mit dem Baby waren die nächsten. Die bärtige Dicke hinter dem Tresen gurrte dem Kind einige spanische Worte zu. Es fuchtelte fröhlich mit den Armen und ein glucksendes Kinderlachen erfüllte einen Moment. Zehn Eier für die junge Familie.
Den vorletzten Platz belegte ein weiterer Anzugträger. Schon älter. Bevor er sich setzte, schaute er zum Kind, das inzwischen an einer Milchflasche nuckelte.
"He´s up again", sagte er.
Die Mutter lächelte dankbar. Der Mann begann seine Eier zu essen.
Zum Schluss kam die alte Frau. Der Zeitungsleser hatte sie als erster erblickt und hielt ihr die Tür auf. Sie legte ihm eine zittrige Hand auf den Unterarm und für einen winzigen Moment verharrten sie so. Dann half er ihr auf den letzten leeren Hocker am Tresen. Ich war etwas besorgt, dass sie herunterfallen würde. Aber sie hielt sich gerade und blickte lächelnd in die Runde.
"Good morning, my dears", sagte sie mit ihrer Altfrauenstimme.
Sie bekam eine Cola und ein Ei.
"So girl, where are you from?", fragte der Uniformierte.
Alle Augen wandten sich mir zu. Es war mir nicht unangehm.
"Germany", sagte ich.
"Germany is beautiful", sagte die alte Frau.
"My grandmother is from Germany", knurrte der Knurrige.
"We went to Cologne once. And Paris. But Paris is not in Germany", sagte die Dame mit einem kleinen Lächeln.
"No, it´s not", sagte die Derangierte, die wieder etwas Leben in den Augen zu haben schien.
"Have a good time here", wünschte mir der junge Vater.
Die Eier waren gegessen. Ich hatte mich verzählt.
Die bärtige Dicke in der schmuddligen Schürze lächelte mich an.
"More coffee?"
Mir flatterte bereits der Magen und ich schüttelte den Kopf.
"Tomorrow eggs for you", bestimmte sie.
Ich war plötzlich unglaublich glücklich.
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