Als Mama und Papa sich so laut anzuschreien begannen, dass
es auch alle anderen im Haus hören konnten, begann das mit den Keksen. Jeden
Morgen lag ein kleines Päckchen neben meinen Schuhen auf unserem Fussabtreter. Darin
waren zwei Kekse – klebrig, weich und süß wie kleine Stücke vom Glück. Einen aß
ich sofort und den anderen versteckte ich unter meinem Bett in einer Blechdose.
Für schlimme Zeiten.
Ich wusste natürlich, wer sie dort hinlegte. Auch wenn kein
Absender daran war. Jeden Samstag duftete es nämlich lecker und köstlich nur unter
einer der sechs Wohnungstüren in unserem Haus hervor. Die hübsche Frau, die
dahinter wohnte, backte die tollsten Kekse der Welt. Das war so, weil sie
Fräulein Keks hieß.
„Wenn das so weiter geht, siehst du mich nie wieder!“,
schrie Mama am Sonntagmorgen.
Ich wusste längst, dass die Liebe eine Hure, das Leben ein
Arschloch, Papa ein Scheißkerl und Mama eine blöde Zicke war. Das hatte ich
alles in den letzten drei Wochen gelernt. Damit ich nicht noch mehr schlimme
Sachen lernen musste, zog ich schnell meine Schuhe an. Dann schnappte ich einen
Keks aus der Dose und lief die Treppe hinunter. Beinahe hätte ich wegen der
blöden Tränen das Fräulein Keks gar nicht gesehen. Dabei sah sie sehr schön aus.
„Danke, Fräulein Keks“, sagte ich in der Mitte der Treppe.
„Gerne, lieber Anton“, sagte sie von unten.
„Du kannst mich mal!“, schrie Papa oben.
Im Park setzte ich mich auf eine Bank, sah den Enten beim
Schwimmen zu und aß vom kleinen Glück. Ich musste mich ganz schön anstrengen.
Erst beim allerletzten Krümel schmeckte ich es ein bisschen.
Als ich wieder zurückkam, stand ein großer Umzugslaster vor
unserem Haus. Zuerst bekam ich einen riesigen Schreck. Doch dann sah ich einen fremden Mann eine große Palme aus dem Laster tragen.
„Guten Tag“, sagte ich, weil das jeder gut gebrauchen kann.
„Hallo, du bist bestimmt Anton, oder?“, lachte der fremde Mann.
„Nelli hat mir schon von dir erzählt.“ Unsere hübsche Nachbarin kam lachend die
Treppe runter und da wusste ich, dass das Fräulein Keks Nelli hieß.
Der fremde Mann und Fräulein Keks schleppten die Sachen aus
dem Umzugslaster in die Wohnung, aus der es jeden Samstag so gut duftete. Auch schwere Sachen, wie das Sofa zum
Beispiel. Trotzdem lachten sie die ganze Zeit. Ich setzte mich vor das Haus und
sah ihnen beim Fröhlichsein zu. Dann fragte ich, ob ich helfen könnte. Sie
gaben mir einen Korb zum Hochtragen der kleinen Dinge. Ich freute mich, dass
ich beim Fröhlichsein dabei sein durfte.
Später saßen der Mann, der Jan hieß, und ich vor dem Haus in
der Sonne, tranken Limonade und aßen Kekse.
„Anton, lass es dir sagen, das Leben ist schön“, sagte Jan.
„Wirklich?“, wunderte ich mich.
„Wirklich“, sagte Jan. „Es ist schön, wenn die Sonne
scheint, wenn die Arbeit getan ist, wenn die Zukunft juchzend wartet und wenn
man einen leckeren Keks hat.“
In dem Moment kam das Fräulein Keks zu uns und lächelte. Jan
zwinkerte mir zu.
„Ich knabbere schrecklich gern an einem Keks“, sagte er.
Wahrscheinlich wurde das Fräulein Keks so rot im Gesicht,
weil sie so glücklich war. Denn sie backte die tollsten Kekse der Welt und der
neue Mann knabberte gerne welche. Das passte supergut.
Oben bei uns standen sich Mama und Papa in der Küche gegenüber
und schrieen sich an. Ich schaute ihnen eine Weile zu und merkte, wie eine
große Wut in mir immer größer wurde. Warum waren die beiden so dumm? Sie hatten
keine Ahnung und kannten die Wahrheit nicht.
Ich rannte in mein Zimmer und holte die Dose mit den Keksen
unter meinem Bett hervor. Damit lief ich in die Küche.
„Hört endlich auf zu streiten!“, brüllte ich.
„Halt du dich da raus!“, schrie Papa.
„Was sollen wir denn nur tun?“, schluchzte Mama.
„Knabbert mehr Kekse!“, rief ich und knallte die Dose auf
den Tisch.
Dann ging ich zurück in mein Zimmer. Die große Wut war
kleiner. Ich merkte Tränen in meinem Gesicht. Im Spiegel konnte ich aber sehen,
dass ich lächelte. Das war so, weil das das Leben war.
Danke!
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