„Papa, ich habe Durst!“
„Schon wieder? Du hast doch schon drei Gläser Wasser getrunken.“ Papa schiebt seinen Kopf in mein Zimmer und zieht seine Stirn in Falten. Das macht er immer, wenn er mir nicht glaubt.
„Trotzdem!“, beharre ich.
Papas Kopf verschwindet. Kurz darauf ist er zurück und hält mir ein Glas Wasser hin. Er hat sich nach dem Abendessen umgezogen. Er trägt jetzt diesen bunten Pullover, bei dem Mama so gelacht hat, als er ihn gekauft hat. „Der macht dich auch nicht jünger“, hat Mama gesagt. Da war Papa beleidigt und hat ihn nie wieder angezogen.
Na ja, bis jetzt eben gerade nie.
„Und jetzt schlaf schön, mein Schatz!“, sagt Papa als er mir ungeduldig das leere Glas abnimmt und mich hastig auf die Stirn küsst.
Ich weiß, warum er so ungeduldig ist. Er will nachher noch mal weg. Mama ist nicht da. Die ist auf Fortbildung. Ich habe vergessen wo, aber das ist ja auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir vorhin Frau Rosenberg im Treppenhaus getroffen haben. Die wohnt direkt über uns, ist aber selten zuhause. Sie hat ja auch kein Kind, nur eine Katze. Als Papa ihr erzählt hat, dass Mama verreist ist, hat sie ihn gefragt, ob er ihr nicht helfen könnte, einen Schuhschrank aufzubauen. Sie hätte auch noch eine gute Flasche Wein da. Ich habe nicht verstanden, was der Schrank mit dem Wein zu tun hatte, aber Frau Rosenberg hat Papa dabei ganz lange in die Augen geschaut. Das tun Erwachsene ja eher selten. Papa hat sofort zugesagt, ihr zu helfen. Ich fand das nett von Papa.
Zuerst.
„Ich muss aufs Klo!“, rufe ich. Das stimmt wirklich. Ich hatte schon nach dem zweiten Glas keinen Durst mehr und irgendwo muss das Wasser ja hin.
Papa schiebt wieder seinen Kopf in mein Zimmer. Er hat jetzt noch mehr Falten auf der Stirn.
„Echt?“
„Echt!“
„Dann mach schon. Aber danach wird geschlafen! Hörst du?!“
Ich murmele „jaja“ und husche ins Bad. Papa wartet vor der Tür, damit ich auf dem Rückweg keine Umwege mache.
Fünf Minuten später liege ich wieder im Bett und höre, wie Papa sich im Bad rasiert. Seit Mama weggefahren ist, hat er das noch nicht einmal gemacht. Deswegen dauert es auch länger als sonst.
„Mein Teddy ist weg!“
Ich kann Papa riechen, ehe sein Kopf auftaucht. Er hat das teure Rasierwasser benutzt. Das nimmt er sonst immer nur zu Weihnachten oder Silvester. Ich finde, das Zeug stinkt entsetzlich. Aber Mama findet es unwiderstehlich. Hat sie mal gesagt.
„Wo hast du ihn denn das letzte Mal gesehen?“, sagt Papa und schaut sich suchend um.
„Weiß nicht“, schwindele ich und beobachte aus meinem Bett, wie Papa auf allen Vieren durch das Zimmer kriecht, um meinen Teddy zu suchen. Dabei sagt er die ganze Zeit Wörter für die ich immer Ärger kriege. Nach einer halben Stunde hat Papa meinen Teddy hinter dem Schrank gefunden. Genau da, wo ich ihn vorm Ins-Bett-gehen versteckt habe.
„Aber jetzt ist Ruhe hier! Verstanden?!“ Papa lächelt. Dabei kann ich genau hören wie gereizt er ist.
„Ich muss aber noch mal aufs Klo. Dringend!“
„Du warst doch gerade erst!“
„Ja, aber nur klein!“ Ich klettere aus meinem Bett und laufe Richtung Toilette. Auf dem Weg schnappe ich mir schnell die Schlüssel vom Schlüsselbrett, also meinen und Papas. Mama hat ihren ja mitgenommen nach Lüneburg. So heißt die Stadt, in der sie gerade ist. Das fällt mir ein, als ich von innen unsere Wohnungstür abschließe. Dann verschwinde ich auf der Toilette und verriegele die Klotür hinter mir.
„Wie lang dauert das denn noch!“ Papa hämmert gegen das Türblatt. Ich zähle die Schläge. Bei zehn lasse ich die Schlüssel ins Klo fallen, bei fünfzehn drücke ich die Spülung, bei zwanzig öffne ich die Tür und husche schnell an ihm vorbei. Ich kann Papa fluchen hören, als er mit seinem Arm nach den Schlüsseln taucht. Aber das klappt nicht. Papa muss das Rohr ausbauen, das vom Klo in die Wand führt, weil die Schlüssel dort irgendwo steckengeblieben sind. Als er fertig ist, schlägt die Uhr im Wohnzimmer zwölf. Papa kommt zu mir, aber ich tue so, als würde ich schon schlafen. Er riecht ein bisschen streng. Und das liegt nicht an seinem Rasierwasser. Echt nicht.
Papa ist dann zuhause geblieben. Am nächsten Tag kam Mama wieder zurück. Da habe ich mich gefreut. Und Papa auch.
Nur Frau Rosenberg grüßt uns nicht mehr. Aber das kann ich verstehen. Schließlich musste sie ihren Schuhschrank alleine aufbauen. Da wäre ich auch sauer.
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