To-do-Listen, Notiz-, Spick- oder Einkaufszettel von der Straße – drei Autoren – ein Geschichtenblog
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Donnerstag, 24. April 2014
Katze kochen – Kai Lüftner
Er hieß Eduard-Ferdinand Krawinkel.
Unter seinen Bekannten herrschte seit langem die Gewissheit, dass es sich bei den Vornamen nur um eine Gemeinheit seiner wirklich grenzwertigen und von diversen Suchtkrankheiten gebeutelten Eltern handelte. Sie mussten bereits kurz nach der Geburt davon überzeugt gewesen sein, dass da nichts sein würde, was man als die klassische Eltern-Kind-Bindung definieren durfte.
Der Startschuss dieses eigentlich verheißungsvollen Miteinanders namens Familie war ein absichtlicher Rohrkrepierer und würde nachhallen so lange der Junge lebte.
Eduard-Ferdinand modulierte sich aus mangelnder Zuneigung und Liebe einen Charakter den man als abgebrüht bezeichnen muss. Vielleicht auch als distanziert. Psychologen nennen das sozial divergent, aber das war nur hinderlich, wenn man etwas mit diesem Begriff anfangen konnte.
Konnte er nicht, denn bereits mit 12 Jahren war aus Eduard-Ferdinand „THC-Eddy“ geworden, das personifizierte Grauen aller Lehrkörper, Sozialarbeiter und Bewährungshelfer. Resilienz in Reinkultur.
Er prügelte, klaute und log sich skrupel- wie chancenlos durch sein Leben und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was er damit anfangen sollte.
Wir begegneten uns im April ´93 in einer U-Haft-Zelle in Moabit. Da war THC-Eddy 42, sah aus wie 70 und roch wie tot.
Es muss einer der wenigen Orte gewesen sein, an denen THC-Eddy nicht der größte menschliche Schandfleck war; an dem sein zerprügeltes und aufgedunsenes Gesicht nicht weiter auffiel. Weshalb er - für seine Verhältnisse - ein fast umgängliches Wesen war. Nicht in reuevoller Erwartung einer Strafe, oder aus Angst vor den anderen Insassen, sondern wie ein Nachtfalter in seinem Element. Still verharrend an einer modrigen Kellerwand im Dunkel. Umgeben von seinesgleichen. Ungestört mit sich und seiner puren Existenz.
Sie hatten ihn eingesperrt, weil er die Katze seiner Nachbarn kochen wollte. Nicht aus Bosheit, sondern wegen Hunger. Im Suff.
„Ick kiffe nichma mehr!“, sagte er und polkte sich den Schorf von einem beachtlichen Akne-Hügel, der auch ein Krätze-Fragment sein konnte. Alles was er sagte, klang wie ein Schrei mit Maulkorb.
„Ach!“, antwortete ich und hoffte, dass man mir nicht anmerkte, dass ich mit aller Macht versuchte, nicht einzupinkeln. Ich war grad 18 geworden. Zwar schon zum dritten Mal in U-Haft, aber zum ersten Mal „bei den Großen“. Hier saß das, wovor mich mein Einzelfallhelfer immer gewarnt hatte. Ich wünschte erstmals, ich hätte auf ihn gehört.
„Ach!“, machte ich noch mal und war mir sicher, dass ich ihm gar keine Frage gestellt, sondern er einfach irgendwann angefangen hatte, von sich zu erzählen.
Ich saß nicht freiwillig, aber auch nicht zufällig neben ihm. Die zwei anderen Bänke waren voll mit Gestalten, denen vermutlich allein mein grüner Irokese reichte, um grundlos all die waffenlosen Fiesheiten an mir auszuprobieren, die sie in ihrer lokalen Wehrsportgruppe eingeprügelt bekommen hatten. Ich wollte es nicht drauf ankommen lassen.
„Außerdem war es gar keine Katze, sondern n’ Kater!“
Um nicht schon wieder „Ach!“ zu sagen, hakte ich nach: „Und du wolltest ihn kochen?“
THC-Eddy war noch lange nicht fertig mit Schorf abpolken, aber beim Denken bekam dieser sowieso schon abartige Prozess noch eine Nuance Ekelfaktor oben rauf. Einfach weil er es so selbstverständlich und ungeniert tat.
„Ja. Nein. Ja“, sagte er schief grinsend und schob dieser Aussage nichts nach.
Und wieder machte ich: „Ach!“.
„Willst du mich verarschen?“, fragte er und kam mir so nahe, dass ich beinahe doch auf die anderen Bänke gerutscht wäre. Aber ich hatte mir vorgenommen, n’ harter Junge zu sein und zog es durch.
Mein „Nö!“ kam so solide wie ein Hologramm, aber er merkte es zum Glück nicht.
Vierzehn Tage später hatte ich meine Anhörung wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Bildung einer verfassungsfeindlichen Organisation. Was alles die gleiche bescheuerte Soße war. Ich kam mit einer Ermahnung und einer Verlängerung meiner Einzelfallhilfe davon. Für den Stinkefinger bei meinem Abgang gab es 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit obendrauf. Mein Betreuer war nicht gerade stolz auf mich.
So hockte ich allein auf den Treppen des Gerichtes, als ich plötzlich gegenüber THC-Eddy auf einer Bank sah.
Er saß da, eingerahmt von Schlafsäcken, Tetrapacks und Kaufland-Tüten, wie in einem entarteten Gemälde und winkte mir zu.
Erst als ich zu ihm herüber gekommen war, entdeckte ich den gestreiften Kater, der auf seinem Schoß lag. THC-Eddy fütterte ihn tatsächlich mit einem Plastelöffel direkt aus der Dose. Der Kater ließ sich nicht von mir stören.
THC-Eddy grinste.
„Issa das?“, fragte ich.
„Jupp!“, sagte Eddy und streichelte das Vieh, das ähnlich abgeranzt und doch irgendwie genauso unverletzlich aussah wie sein Gönner.
„Ach!“, sagte ich und machte, dass ich wegkam.
Es war mir in diesem Moment noch nicht so richtig klar gewesen, aber später:
Ich hatte etwas über die Menschen gelernt.
Und über das Leben.
Und über Katzen.
Aber nichts übers Kochen.
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