In der Nacht hatte es geschneit.
Das war super. Wir warteten alle sehnsüchtig die Pause. „Lasst uns Schiffe versenken
spielen!“, rief Janik. „Prima!", freute ich mich. "Wie geht das?“ „Na, das ist doch klar. Wir
laufen über den ganzen Schulhof und versuchen uns abwechselnd mit Schneebällen
abzuwerfen.“ „Superklasse. Wer getroffen ist, geht unter“, rief Michael. Wir
haben gelacht und gedacht, das ist ein tolles Spiel.
Der Direktor hatte ein ganz rotes Gesicht. Mama saß
irgendwie zusammengesunken auf dem Stuhl. Ich auch. Meine Lehrerin war die vierte
im Büro. Die sagte aber nichts, sondern nickte immer nur mit dem Kopf. Wenn der
Direktor etwas sagte. Oder Mama und mich anschrie. „Das fällt unter den
Tatsbestand der Körperverletzung. Ist Ihnen das überhaupt klar!“ Erst wunderte
ich mich noch, von was der Direktor da überhaupt sprach. Dann verstand ich. Man
durfte keine Schneebälle werfen. Mama saß nun ganz gerade. Ihre Augen
funkelten.
Zuhause umarmt mich Mama ganz fest. Dann verschwinde ich in
meinem Zimmer. An der Wand über dem Schreibtisch hängt unser Klassenbild. Das
hatte ein Fotograf im letzten Monat gemacht. Auf dem Bild stehe ich zwischen
Janek und Michael. Klar, wo sonst. Dass es die beiden gibt, ist super. Und
manchmal der einzige Grund, morgens in diesen grauen Kasten zu gehen. Ich setze
mich an den Schreibtisch und nehme das Foto von der Wand. Mit der Zirkelspitze
beginne ich zu kratzen.
„Frau Lehrerin, das
war der Nick.“ Oh, Mann! Moritz verpetzte uns immer. Immer. Außerdem war er ein
Angeber. Mit allem gab er an. Vor allem mit dem Geld seines Vaters. Und mit
seinen guten Noten. Keiner mochte ihn. Nur die Frau Lehrerin. Wegen der guten
Noten. „Heute gibt es Rache“, raunte Michael. „Genau“, flüsterte Janik. Wir
bekamen eine Strafarbeit wegen Flüstern. Aber das war egal. In der Pause zogen
wir Moritz, schwupps, die Mütze vom Kopf. Der regte sich mächtig auf. Das war
schon mal toll. Dann warfen wir die Mütze hin und her. Moritz immer hinterher.
Er kam richtig aus der Puste. Da half ihm auch der schnelle Schlitten seines
Vaters nichts. Die Mädchen lachten. Gerade als ich die Mütze hatte, sprang
mir Moritz an die Gurgel. „Superklasse, Klopperei!“, riefen die Jungs. Michael
streckte den Daumen hoch. Er wusste, dass ich sowieso gewinnen würde. Kein
Grund zur Sorge. Trotz Moritz´ Exklusivkaratestunden. Die anderen bildeten
einen Kreis. Sie klatschten in die Hände und feuerten mich an. Auch die
Mädchen.
Mama saß dann mit funkelnden Augen und sehr gerade auf dem Stuhl. Kleine Spuckeflocken
flogen dem Direktor aus dem Mund. „Diebstahl! Diiiiebstaaaahl!!! Ist dir
eigentlich klar, dass das eine schlimme Straftat ist?“, schrie er. Er sagte du,
guckte aber Mama dabei an. Ich verstand gar nichts mehr. Mama begann zu
zittern. Sie sagte aber nichts. Wir hatten vorher besprochen, dass wir uns
nicht aufregen würden. Keinen weiteren Ärger. Wegen Janik und Michael.
Wo vorher die Haare gewesen waren, ist das Bild nun weiß.
Die Schultern sind auch schon weg. Mehr vom Körper war sowieso nicht zu sehen
gewesen. Denn wie immer hatten Janik, Michael und ich beim Fototermin in der
letzten Reihe gestanden. Weil man da weiter weg war vom Ohr und vom Auge der
Lehrerin. Es gab nämlich immer irgendetwas Wichtiges zu besprechen oder zu
zeigen. Ich kratze weiter.
Rosa war ein bisschen
dick. Aber in unserer Klasse sagte da keiner was drüber. Rosa war nämlich total
nett und brachte oft Bonbons mit. Die teilte sie mit uns. Nur Moritz kriegte
keins ab. Der tönte sowieso immer, er würde nur französische Bonbons essen. Aus
Paris. Aber in der Dusche nach dem Schwimmen brachten die Parallelmädchen Rosa
zum Weinen. Ich weiß gar nicht mehr, wer den Superplan hatte. Egal. Beim
nächsten Schwimmunterricht schlich ich in die Mädchenumkleide der Parallelklasse. Die Jungs
standen Schmiere. Ich nahm die Mäppchen aus den Ranzen und leerte alle Stifte auf
dem Boden aus. Die würden ewig brauchen, das wieder zu sortieren, und hätten keine Zeit, irgendjemanden zu ärgern. „Superklasse!“, raunte Michael und
Janik klopfte mir auf die Schulter. Moritz hat mich dann verraten.
Die Augen, den Mund und die Nase lasse ich am längsten
stehen. Ganz vorsichtig ziehe ich die Zirkelspitze darum herum. Das sieht fast
wie eine gruslige Maske aus. Obwohl. Masken haben gar keine Augen. Ich kratze
weiter.
„Was machen wir nun?“,
fragte Janik. „Wir haben doch mitgemacht“, meinte Michael bekümmert. „Keine
Sorge“, sagte ich. „Das wird schon nicht so schlimm.“ Ich hatte die besten
Noten von uns Drein. Michael war sogar auf Kippe.
„Drei kriminelle Vergehen. In so einem schweren Fall, darf
ich das direkt bestimmen“, sagte der Direktor. Er klang auf einmal ganz ruhig und
sehr zufrieden. „Schulverweis. Vielleicht hat ja eine andere Schule Interesse
daran, sich mit einem wie dir abzugeben.“ Dann schlug er die Hände zusammen.
Als hätte er eine Arbeit erledigt. Irgendwas mit Dreck. Mama starrte an die
Wand. Dort hing ein Zertifikat: Gesundheitsfördernde
Schule. Mit besonderer Anerkennung für Schulkultur und Schulklima. In einem dicken Goldrahmen. Daneben ein großes Foto
vom Direktor. Mit einem breiten Grinsen. Auch in einem dicken Goldrahmen. „Sei froh, dass ich auf eine
Anzeige verzichte“, zischte der Direktor, als er uns zur Tür hinausschob. Ich
wusste gar nicht, ob er Mama oder mich anzischte. Die Lehrerin nickte.
Auf dem Klassenbild ist nun zwischen Janek und Michael eine weiße
Lücke.
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