Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 5. Juni 2014

Comic Wissen – Kai Lüftner


Über einer flirrenden Wüste steigt ein Feuerball auf.
Tentakel aus Glut streichen über den Boden, die verkrüppelten Bäumchen, stacheligen Sträucher und die noch schlafenden Tiere und pinseln ihr Licht über die vergehende Nacht.
Ein Klumpen krustiger Erde, so groß wie ein Tennisball, gerät in Bewegung. Von allein, dabei zerbröselnd, bis eine winzige Hand durch die Außenhülle stößt. Zur Faust geballt.
Durch die Geräusche des Morgens kann man eine heroische Melodie aus allen Richtungen vernehmen, die mit dem seichten Wind ab- oder zunimmt.
Sie verklingt, als die Kruste des Erdklumpens endgültig zerstoßen ist und ihr ein Kugelschreiber-großer Superheld entstiegen ist. Mit rotem Umhang, grüner Maske, gelben Handschuhen und türkis-blauen Stiefeln, die bis übers Knie reichen. Ein kunterbunter Mini-Super-Spider-X-Men!
Er schaut wortlos umher, die Hand gegen die Sonne gerichtet, legt sich dann auf die Erde und lässt sich bescheinen.
Kleineres und größeres Getier meidet seine Nähe, macht einen großen Bogen um das seltsam starr daliegende Etwas, von dem ein Brummen und Knurren, ein Klacken und Summen ausgeht. Als würde eine außerirdische Batterie mit Energie geladen.

Man kann es schließlich mit bloßem Auge verfolgen: Er wächst. Und wächst. Und wächst. Er dehnt sich aus, multipliziert und verzehnfacht sich immer schneller, bis

er an die Kanten eines Kästchens stößt, das dieses ganze Szenario großzügig umrahmt.

Der ehemalige Mini- nun Maxi-Super-Spider-X-Men tastet den ihn einengenden Rahmen systematisch und nach allen Seiten ab. Souverän und taktil, trotz der misslichen Lage.
An einer bestimmten Stelle über seinem Kopf setzt er gekonnt den Handballen an, übt ein wenig Druck aus und durchbricht mit einem deutlichen Kracks! die Barriere.

Die Maxi-Faust stößt aus dem entstandenen Loch, wie die Mini-Faust eben noch aus dem Erdklumpen.
Dann erhebt sich der gewachsene Superheld aus seinem einstigen Hintergrund und klettert ins darüber liegende Kästchen, als hätte er nie etwas anderes getan.

Nur der riesige Radiergummi macht einem möglichen Neuanfang ein jähes Ende. Mit drei, vier energischen Wischern verschwindet ein Superheld, als hätte er nicht gerade eben erst das Licht der Welt erblickt - und sie verlassen, um eine neue zu entdecken.

Über den blassen, verwischten Schemen, die gerade noch der potentielle Held einer ganzen Generation hätten sein können, gleitet ein dickes Stück Kohle, um die rudimentären Züge eines Monsters zu skizzieren.
Auch dieses wird wieder getilgt, bevor man seine Seele erkennen kann.

Mit der Frequenz von zügellosen Gedanken entstehen und verschwinden Bilder.
Am Ende landet ein nicht mehr brauchbares Blatt Papier im Müll.
Und mit ihm sterben tausend Ideen.

Man muss nichts über Comics wissen. Aber man kann.

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