„Bist du da?“, flüsterte ich. Beinahe
versagte mir die Stimme. Meine Füße kribbelten wie verrückt. Und das lag nicht
an den viel zu großen kratzigen Wollsocken, die ich trug.
„Wir rufen dich an! Bitte
beantworte unsere Fragen“, raunte M., meine Freundin, 13jährig und damit so alt
wie ich. Sie versuchte sich an einer sehr tiefen Stimme. „Bist du unter uns?“,
dröhnte sie.
Ich musste kichern.
„Wenn du lachst, kommt er nicht“,
zischte sie mich an.
Schnell biss ich mir auf die
Lippen. Unsere Zeigefinger berührten ganz sacht das kleine Steinplättchen in
der Mitte des Bilderrahmens.
Plötzlich begann es auf dem Glas wegzurutschen,
steuerte ganz eindeutig das „J“ des im Kreis angeordneten Alphabets an. Das
konnte nicht sein! Nicht eine Minute hatte ich an all das wirklich geglaubt.
Vom „J“ rutschte das Plättchen weiter Richtung „A“. Bevor es dort jedoch ankam,
nahm ich meinen Finger weg.
„Das bist du, gib es zu!“, sagte
ich viel lauter als gedacht. „Du schiebst es.“
„Gar nicht wahr. Ich berühre es
doch kaum“, verteidigte sich M.
Die Flammen der drei Kerzen
flackerten unheilvoll.
„Natürlich, bist du das! Ich kann
es doch genau sehen“, sagte ich noch etwas lauter und ärgerte mich darüber,
dass meine Stimme zitterte.
„Du spinnst! Ich habe es fast gar
nicht berührt!“, schimpfte sie. „Wenn du dich nicht konzentrierst, klappt es
sowieso nicht.“
„So ein blöder Quatsch kann ja auch
gar nicht funktionieren“, schnappte ich.
Die Kerzen flackerten stärker. Eine
erlosch. In dem Moment wurde die Zimmertür aufgerissen und wir erstarrten vor
Schreck.
In der Tür stand M.s Mutter im
Nachthemd und mit wirrem Haar. Schuldbewusst blickten wir zu ihr auf. Es war
mitten in der Nacht und wir hatten schon vor Stunden versprochen, endlich
einzuschlafen. Ihr Blick fiel auf die Glasscheibe, auf der wir alles für die Geisterbeschwörung
angerichtet hatten. Ich hörte M. pfeifend Luft holen. Jetzt waren wir dran.
„Wir nehmen heimlich ein Kunstwerk
meiner Mutter, das merkt die nie“, hatte M. nämlich vorhin bestimmt und dann hatten
wir leise, ganz leise, den Rahmen von der Wand genommen. Wie sollten wir nun der
aufgebrachten Künstlerin mit den sich wild sträubenden Haaren erklären, dass wir
acht-, ja, schamlos, den Rahmen, der eigentlich ihr Werk schützen sollte,
missbraucht hatten? Nur weil der so schön rutschig war.
Energisch strich sich M.s Mutter das
Haar hinter die Ohren. „Was macht ihr da?“, fragte sie streng.
„Wir rufen einen Geist“, flüsterte
M. und schaute schuldbewusst zu Boden.
„Aha“, machte ihre Mutter.
„Welchen?“
„James Dean“, murmelte ich heiser
und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
„Aha“, machte die Künstlerin wieder.
Dann setzte sie sich zu uns auf den
Teppich. „Das wird sicher interessant. Meine Bilder haben eine unglaubliche
Energie, der sich keiner widersetzen kann. Und an diesen Mann habe ich auch
noch eine Frage. Seid ihr bereit, Mädels?“
Ungläubig sah ich ihr dabei zu, wie
sie die Kerze wieder anzündete und dann ihren Zeigefinger an das Plättchen
legte.
Ich blickte auf meinen großen
Fußzeh, der sich einen Weg in die Freiheit durch den verfilzten Strumpf gesucht
hatte. Plötzlich wurde mir schlecht. Ich riss das Steinplättchen vom Glas und
feuerte es in die hinterste Zimmerecke. Schwer atmend schaute ich auf die
beiden, wie sie so vor mir kauerten in ihren alten Nachthemden und mit weit
aufgerissenen Augen.
„Das geht nicht!“, rief ich panisch.
„Versteht ihr? Das können wir nicht machen! James Dean! Und guckt doch mal, wie
wir aussehen!“
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