Meine Oma hatte mal was mit Picasso, aber darüber wurde in
unserer Familie nur selten gesprochen. Als junges Mädchen war sie nach Paris
durchgebrannt, um etwas zu erleben. Das hat sie dort wohl auch, denn nach einem
Jahr kam sie wieder zurück … mit einem dicken Bauch und einem Gemälde unterm
Arm.
„Das kommt mir nicht ins Haus!“, soll mein Urgroßvater
getobt haben und es war damals wohl nicht ganz klar, ob er damit das Baby oder
das Bild meinte.
Man musste sehr genau hinschauen, um meine Oma auf dem
Gemälde erkennen zu können. Und es brauchte noch ein paar aufmerksame Blicke
mehr, bevor man sah, dass er sie nackt gemalt hatte. Aber das ist in den ganzen
Jahren wohl nur mir aufgefallen. Für den Rest der Familie war das Bild nur eine
alberne Schmiererei. Nicht viel besser, als dass was meine Mutter als
Vierjährige zu Papier brachte.
„Ganz der Vater!“, hat mein Urgroßvater angeblich einmal gebrummt
und dabei eine Zeichnung seiner kleinen Enkelin neben das Gemälde gehalten.
Aber das ist wahrscheinlich eine dieser Familiengeschichten, die nur dadurch
wahr werden, dass man sie bei Geburtstagen, Hochzeiten und Begräbnissen wieder
und wieder erzählt.
Nach Omas Tod hing das Gemälde bei uns auf dem Klo, weil
meine Eltern es nicht in ihrem Wohnzimmer haben wollten. Da hing ja schon
der Fotokalender mit den zwölf schönsten Hundewelpen. Omas Porträt war hinter
einem geblümten Duschvorhang verborgen, den man zur Seite schieben musste, um
es betrachten zu können. Als ich in der Pubertät war, habe ich mich oft auf unserem
Klo eingeschlossen. Damals gab es ja noch kein Internet.
Eines Tages war das Bild verschwunden und keine vier Wochen
später erfüllte sich mein Schwager seinen Traum vom eigenen Bestattungsunternehmen.
Ich kann nicht beweisen, dass zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht.
Falls ja, hatte er nicht lange etwas von seinem Kunstraub. Der Laden ging nach einem
Jahr Pleite, weil herauskam, dass er den Toten vor dem Begräbnis die Goldzähne
herausbrach. Keine zwei Monate später war er selbst sein letzter Kunde.
Mein Großvater besaß keine Goldzähne,
soweit ich weiß. Ich bin ihm nie begegnet, um das überprüfen zu können. Dafür
habe ich sein Talent geerbt. Das weiß ich genau, weil alle in der Familie meine
Bilder für Schmierereien eines Vierjährigen halten. Nur ich sehe darin Frauen,
die genauso schön und nackt sind wie meine Oma, die in Paris mal was mit
Picasso hatte.
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