Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, die kleinen Haare auf
meinen Armen standen auf den Beulen der Gänsehaut nach oben und Tränen liefen
über meine Wangen. Dabei waren die Aasgeier doch verschwunden und die Hyänen
lachten nicht mehr durch die Dunkelheit der afrikanischen Nacht.
Ich stand auf einem Kissen vor dem Fernseher. Das war etwas
ungemütlich und auch viel zu nahe am Bildschirm. Aber ich wusste einfach noch
nicht, dass Mama nicht an meinem Poabdruck auf dem Sofa erkannte, wenn ich
heimlich Fernseher geguckt hatte. Das war aber meine Vermutung, denn sie wusste
es immer. Einen Fussabdruck wollte ich auch nicht hinterlassen. Darum das
Kissen unter mir. Und die Haarbürste in meiner Hand. Damit würde ich nach dem
Film den Teppich bürsten. Wie gesagt, von der Erwärmung eines laufenden Elektrogeräts
hatte ich noch keine Ahnung.
Plötzlich klingelte es. Weil unsere Sprechanlage kaputt war,
beugte ich mich vorsichtig aus dem Küchenfenster und lunzte die zehn Stockwerke
hinunter. Da unten stand Marco in einer kurzen Lederhose mit Hosenträgern. Er
sah noch kleiner aus als sonst. Sonst war er der größte Junge in der Klasse und
nur einen Kopf kleiner als ich. Außerdem war er der schönste. Das fand meine
beste Freundin Yvonne Sommerfeld auch. Eigentlich war das ein Problem, doch
darum geht es in dieser Geschichte nicht.
„Kommste runter?“, rief Marco zu mir hoch.
„Ja, ich komme!“, rief ich zu ihm runter.
Wir trafen uns im Pilz auf dem Spielplatz. Der Pilz war ein
großes Glasfieberding, in das man hineingehen konnte, wobei man sich
elektrostatisch auflud. Es kribbelte. Besonders als ich Marco sah. Wir setzten
uns schnell hin. Wegen der unterschiedlichen Größe.
„Also sind wir jetzt ein Liebespaar?“, fragte Marco.
Wir waren sechs Jahre alt und hatten keine Ahnung, was das
bedeutete. Ich nickte.
„Sollen wir uns jetzt ausziehen?“, fragte er.
Wir hatten wirklich keine Ahnung. Obwohl ich ja gerade
verbotenerweise etwas über die Liebe gelernt hatte.
„Erst wenn der Schnee auf dem Kilimandscharo schmilzt“,
sagte ich.
Marco schaute mich überrascht und auch etwas ratlos an.
„Woher werden wir das wissen?“, fragte er.
Ich zuckte mit meinen mageren Schultern, die sich etwa auf
Marcos Augenhöhe befanden. „Das weiß ich auch nicht.“
Wahrscheinlich würden wir es nie erfahren, denn wir waren
Gefangene eines sozialistischen Systems. Nach Afrika durften wir nicht fahren. Ich
seufzte traurig.
„Darf ich dich dann wenigstens küssen?“, fragte Marco.
Ich zog meine geringelten Kniestrümpfe hoch und nickte. Dann
rutschten wir auf den Glasfiebersitzen noch etwas näher aneinander heran. Langsam
richteten sich unsere geladenen Haare auf.
Und dann bekam ich den allerersten Kuss meines Lebens. Mit einem
kleinen Stromschlag. Aber auch mit Zunge. Und mit einem Stückchen sauren Drop.
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