Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Buster Keaton – Rüdiger Bertram

Papa hatte unseren Papagei nach dem Schauspieler Buster Keaton genannt. Ich hatte zuerst gar nicht verstanden warum. Aber dann hat Papa mir Filme gezeigt, in denen dieser Buster Keaton mitspielt. Das waren Stummfilme, in denen der kein einziges Wort gesprochen hat. Genau wie unser Papagei. Der hat auch nie ein Wort gesagt. Obwohl Papa jeden Tag mindestens eine Stunde vor dem Käfig saß und wieder und wieder dieselben drei Sätze wiederholte: 

„Sag brav: Guten Morgen!“
„Sag brav: Mein Name ist Buster Keaton!“
„Sag brav: Wie geht es dir? Mir geht es gut!“ 

Auf die Dauer war das mindestens so unerträglich wie die dämlichen Kinderlieder meines kleinen Bruders. Die hörte er als Endlosschleife im Wohnzimmer, weil er noch keinen eigenen CD-Player hatte. Mama war von Buster Keatons Spracherziehung am meisten genervt und knallte immer die Küchentür zu, wenn sich Papa vor den Papageienkäfig hockte.

So auch an diesem Tag. Ich lag auf der Couch und versuchte zu lesen, Mama hatte sich in der Küche eingeschlossen, Papa saß vor Buster Keaton und mein kleiner Bruder hörte eine neue CD. Die hatte Mama ihm gekauft, damit wir alle nicht immer dasselbe hören mussten. Die Lieder waren gar nicht so schlecht, gingen einem nach der fünfzigsten Wiederholung aber trotzdem auf die Nerven. Ich konnte mich jedenfalls nicht auf mein Buch konzentrieren und das lag nicht nur an der Musik, sondern auch an Papas endlosen Wiederholungen: 

„Sag brav: Guten Morgen!“
„Sag brav: Mein Name ist Buster Keaton!“
„Sag brav: Wie geht es dir? Mir geht es gut!“

Ich wollte gerade aufstehen, um zu Mama in die Küche zu gehen, als aus dem Käfig plötzlich ein lautes Krächzen erklang. Zuerst kaum verständlich, dann immer deutlicher. Buster Keaton sprach! Es war aber keiner von Papas Sätzen, sondern der Text eines von den Liedern auf der neuen CD meines Bruders. Da gab es gar keinen Zweifel.

„Die Kotzekatze Carolin wohnt in der Nähe von Berlin.“

Buster Keaton wiederholte das noch ein paar Mal. Papa starrte fassungslos in den Käfig, dann sprang er plötzlich auf und brüllte begeistert: „Er spricht! Buster Keaton spricht!“ Dabei stieß er mit seinem Arm gegen den Käfig, der polternd auf den Boden fiel. Die Tür ging auf und Buster Keaton huschte ins Freie. Er breitete seine bunten Flügel aus und flog durch das offene Fenster nach draußen.
Papa, mein kleiner Bruder und ich sahen ihm traurig hinterher.
„Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte Mama, als ich es ihr später in der Küche erzählte. Aber das wunderte mich nicht. Von uns allen hatte sie Buster Keaton am wenigsten gemocht.

Das Ganze passierte 2014. Das weiß ich noch so genau, weil Deutschland in diesem Jahr das letzte Mal Fußball-Weltmeister wurde. Das ist jetzt auch schon fünfzig Jahre her und die Dinge haben sich verändert. Einige zumindest. Andere auch nicht. Manchmal an dunstigklaren Tagen ziehe ich mir meinen Sauerstoffanzug an, um ein bisschen mit dem Kanu durch den Stadtpark zu paddeln. Zwischen den aschegrauen Ästen der blattlosen Bäume sind die bunten Papageien ganz leicht zu finden. Buster Keaton muss sich damals mit einer entflogenen Papageiendame zusammengetan haben. Die kleine, zähe Kolonie, die die beiden gegründet haben, hat bisher alles überstanden und ich muss lächeln, wenn ich unter meinem Helm gedämpft ihr vertrautes Krächzen höre:

„Die Kotzekatze Carolin wohnt in der Nähe von Berlin.“

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