„Es tut mir leid!“, rief sie ihm nach.
Aber ob er das noch hörte oder überhaupt hören wollte,
konnte sie nicht erkennen. Sie sah ihn im kalten Licht der Straßenlaternen
verschwinden, das sich in seinem fissligem Haar und seinem Klarinettenkasten,
den er immer mit sich herum trug, reflektierte.
Sie zog ihr etwas zu enges T-shirt zurecht und legte eine
weitere Schicht Lipgloss auf die spiegelnden Lippen. Dann knipste sie ein
Selfie. Unter „Eppisode Woody beendet“ schickte sie es ihren Freundinnen. Als
ihr einfiel, dass Episode vielleicht gar nicht mit zwei p geschrieben wird, war
es zu spät. Egal. Die anderen kannten wahrscheinlich nicht einmal das Wort. Sie
hatte es von ihm gelernt.
Es tat ihr wirklich leid. Die letzten Wochen waren echt
spannend gewesen. Irgendwie aufregend und total neu. Sie hatte gar nicht
gewusst, was es alles noch so gab in diesem Leben, in dieser Stadt.
Dabei hatte sie, als er damals vor ihr stand und sie
stammelnd ansprach, hinter vorgehaltener Hand kichern müssen. Der Freak mit der
dicken Brille, dem Knautschgesicht unter den seltsamen roten Haaren und im
ewigen Pulllunder hatte SIE tatsächlich gefragt, ob er IHR einen Drink
spendieren dürfte. Sie hatte nur ja gesagt, weil sie unbedingt ein Bild von
ihnen beiden machen und das sofort posten wollte. Damit würde sie auf alle
Fälle die Nachricht des Tages landen. Die Schöne und der Freak.
Überraschenderweise wurde der Abend tatsächlich nett. Der
Typ war richtig witzig und sie lachte viel. Das hatte ihr gefallen und so verabredete
sie sich mit ihm ein zweites Mal. Unter das Bild dieses Abends schrieb ihre
Freundin Charly: „Woody Allen ist der neue schwule beste Freund.“ Woher Charly
Woody Allen kannte, wusste sie nicht. Vielleicht weil Charlys Vater früher mal
in einer Jazz Band spielte. Sie hatte den Namen natürlich sofort gegoogelt. Und
dann hatte sie auch den Kommentar verstanden.
Sieben Wochen war sie mit ihm und seinem ewigen
Klarinettenkasten auf dem Rücken sowie einem abgefetzten Kartenspiel in seiner
Hosentasche nachts herumgezogen. Und ja, es hatte Spaß gemacht. Nicht nur weil
er witzig war. Er konnte toll erzählen und erklärte ihr Dinge, von denen sie
nicht einmal wusste, dass es sie gab oder dass sie die nicht verstanden hatte.
Als er das erste Mal sein Instrument auspackte und einfach
so auf dem dunklen Marktplatz zu spielen begann, hätte sie fast geweint.
Daraufhin hatte er sie jeden Donnerstag zu Konzerten mitgenommen. In einen
Keller von dem sie noch nie gehört hatte.
Er lud sie auch zum Essen ein. Nicht zu Mekkes oder Starbucks.
Sondern in richtige Restaurants, in denen man echtes Besteck und
Stoffservietten bekam. Das Geld dafür verdiente er mit Kartenspielen. Er gewann
immer, hatte er ihr verraten, und beinahe hätte sie ihn richtig toll gefunden.
Aber da waren noch seine riesige Nase, seine dünnen Ärmchen und dieser
Pullunder. Das ging gar nicht.
Nun war alles zu Ende. Schade. Aber heute Abend war er zu
weit gegangen. Er hatte ihr seine Liebe gestanden. Wie konnte er nur? Er musste
doch wissen, dass es völlig absurd war, wenn sie beide als Paar auftreten
würden. Sie hatte einen Ruf zu verlieren.
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