Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Rüdiger Bertram – Antje Herden – Kai Lüftner

Donnerstag, 30. Oktober 2014

Woody Allen – Antje Herden


„Es tut mir leid!“, rief sie ihm nach.
Aber ob er das noch hörte oder überhaupt hören wollte, konnte sie nicht erkennen. Sie sah ihn im kalten Licht der Straßenlaternen verschwinden, das sich in seinem fissligem Haar und seinem Klarinettenkasten, den er immer mit sich herum trug, reflektierte.
Sie zog ihr etwas zu enges T-shirt zurecht und legte eine weitere Schicht Lipgloss auf die spiegelnden Lippen. Dann knipste sie ein Selfie. Unter „Eppisode Woody beendet“ schickte sie es ihren Freundinnen. Als ihr einfiel, dass Episode vielleicht gar nicht mit zwei p geschrieben wird, war es zu spät. Egal. Die anderen kannten wahrscheinlich nicht einmal das Wort. Sie hatte es von ihm gelernt.

Es tat ihr wirklich leid. Die letzten Wochen waren echt spannend gewesen. Irgendwie aufregend und total neu. Sie hatte gar nicht gewusst, was es alles noch so gab in diesem Leben, in dieser Stadt.
Dabei hatte sie, als er damals vor ihr stand und sie stammelnd ansprach, hinter vorgehaltener Hand kichern müssen. Der Freak mit der dicken Brille, dem Knautschgesicht unter den seltsamen roten Haaren und im ewigen Pulllunder hatte SIE tatsächlich gefragt, ob er IHR einen Drink spendieren dürfte. Sie hatte nur ja gesagt, weil sie unbedingt ein Bild von ihnen beiden machen und das sofort posten wollte. Damit würde sie auf alle Fälle die Nachricht des Tages landen. Die Schöne und der Freak.

Überraschenderweise wurde der Abend tatsächlich nett. Der Typ war richtig witzig und sie lachte viel. Das hatte ihr gefallen und so verabredete sie sich mit ihm ein zweites Mal. Unter das Bild dieses Abends schrieb ihre Freundin Charly: „Woody Allen ist der neue schwule beste Freund.“ Woher Charly Woody Allen kannte, wusste sie nicht. Vielleicht weil Charlys Vater früher mal in einer Jazz Band spielte. Sie hatte den Namen natürlich sofort gegoogelt. Und dann hatte sie auch den Kommentar verstanden.

Sieben Wochen war sie mit ihm und seinem ewigen Klarinettenkasten auf dem Rücken sowie einem abgefetzten Kartenspiel in seiner Hosentasche nachts herumgezogen. Und ja, es hatte Spaß gemacht. Nicht nur weil er witzig war. Er konnte toll erzählen und erklärte ihr Dinge, von denen sie nicht einmal wusste, dass es sie gab oder dass sie die nicht verstanden hatte.
Als er das erste Mal sein Instrument auspackte und einfach so auf dem dunklen Marktplatz zu spielen begann, hätte sie fast geweint. Daraufhin hatte er sie jeden Donnerstag zu Konzerten mitgenommen. In einen Keller von dem sie noch nie gehört hatte.
Er lud sie auch zum Essen ein. Nicht zu Mekkes oder Starbucks. Sondern in richtige Restaurants, in denen man echtes Besteck und Stoffservietten bekam. Das Geld dafür verdiente er mit Kartenspielen. Er gewann immer, hatte er ihr verraten, und beinahe hätte sie ihn richtig toll gefunden. Aber da waren noch seine riesige Nase, seine dünnen Ärmchen und dieser Pullunder. Das ging gar nicht.


Nun war alles zu Ende. Schade. Aber heute Abend war er zu weit gegangen. Er hatte ihr seine Liebe gestanden. Wie konnte er nur? Er musste doch wissen, dass es völlig absurd war, wenn sie beide als Paar auftreten würden. Sie hatte einen Ruf zu verlieren. 

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